Pfälzer Weinfest mit kriminellen Machenschaften und mythischer Umrahmung. Götterdämmerung in Paris (Opéra National de Paris)
Nun endlich haben die Herren Jordan und Krämer und ihre jeweiligen Teams ihren Pariser Ring zu Ende ‚geschmiedet‘. Doch ob die einzelnen Teile wirklich zusammen passen, sprich: ob es eine kohärente Grundkonzeption bei diesem großen Unternehmen gab, ich habe da meine Zweifel. Mag sein, dass es in der Musik, wo Maestro Jordan durchweg auf Verhaltenheit setzt, die rauschhaften Klänge und alles Aufdrehen meidet, so etwas wie eine einheitliche Konzeption gibt. Doch in der Inszenierung? Im Rheingold betont sie die unselige Rezeptionsgeschichte, zitiert faschistische Ästhetik, proletarische Mythen und die Filmkunst der 20er und 30er Jahre. In der Walküre will sie von der ‚Liebe als Passion‘ nichts wissen und zeigt ein freudlos lustloses Paar in der Nachsommerblüte inmitten von Gewaltexzessen. Im Siegfried tummelt sich der übliche Latzhosenlümmel. Immerhin gibt es schöne Bilder, die an Odilon Redon, deutsche Romantik und faschistische Totenfeiern erinnern, zu bewundern. Und das war’s auch. Und jetzt in der Götterdämmerung? Da ist eine spektakuläre und zugleich banalisierende ‚Arbeit am Mythos‘ zu besichtigen: eine aktualisierende Version, die das Geschehen am Hof der Gibichungen in ein Großwinzer Milieu verpflanzt, König Gunther zum reichen Winzer, Gutrune zur ältlichen Weinkönigin macht und Hagen in den Rollstuhl setzt und ihn mit der Weltkugel spielen lässt. Siegfried ist wohl ein reicher Bürgersohn, den es auf seiner Kavalierstour an den Rhein verschlagen hat und dem der Pokal mit dem Willkommenstrunk, den ihm die Weinkönigin reicht, gleich so zu Kopfe steigt, dass er sich wie ein betrunkener Silen aufführt. Ein leichtes Opfer für den machtlüsternen Intriganten im Rollstuhl, der seinerseits nur das Werkzeug seines proletarischen Erzeugers Alberich ist. Alberich und nicht Hagen wird Siegfried ermorden. Alberich wird in der Schlussszene vergeblich nach dem Ring greifen („Zurück vom Ring!“). Hagen hatte Gutrune einfach von der Bühne gefahren. Zwei Werkzeuge Im Kampf um die Weltherrschaft, die nicht mehr benötigt werden. Eine unterhaltsame und vielleicht auch neue Version der Binnenerzählung von der Intrige gegen Siegfried und von seinem Tod. War es das, worauf die Regie hinaus wollte? Spektakulär ist allenfalls der mythische Rahmen der eigentlich so banalen Krimistory. Oder besser gesagt: das Vorspiel. Während die Nornen – drei Damen mittleren Alters im modischen kleinen Schwarzen – von Vergangenem erzählen, greift eine vermummte Gestalt – sie wird sich später (wenn ich mich recht erinnere: im ersten Aufzug) als Alberich zu erkennen geben – nach einer zerbrochenen Lanze (Wotans Lanze?), die auf einem Grab liegt und wirft einer Gestalt, die im Rollstuhl sitzt (Hagen, wie der Zuschauer im ersten Aufzug erfahren wird) eine Weltkugel zu. Die neu zusammengefügte Lanze wird Alberich in der Traumszene Hagen bringen und mit dieser Lanze, mit Wotans Lanze, wird Siegfried getötet werden. Zweifellos ein schönes Symbolspiel: die Waffe des einstigen Weltherrschers, der der Macht entsagt hat, tötet den einstigen Hoffnungsträger. Ansonsten ist nichts Besonderes zu berichten. Natürlich gelingen einem so routinierten Theatermacher wie Krämer grandiose Bilder, an denen der Lichtdesigner mit seinen holographischen Spielchen einen nicht geringen Anteil hat. Doch im Finale, da geht nicht nur der Sängerin der Brünnhilde so langsam die Puste aus (kein Wunder bei den tropischen Temperaturen, die an diesem Sonntagnachmittag in Paris herrschten). Auch die Regie war wohl froh, dass das Ende nahe war. Und so verschonte sie uns von allem Brimborium und dem üblichen ideologischen Quark. Ein Großereignis ist die Pariser Götterdämmerung wohl nicht – so wenig wie Rheingold, Walküre und Siegfried es waren. Wir sahen die Vorstellung am 26. Juni 2011.