Melancolia Eterna zu Rivalitäten unter Mafiosi in der Betonruine. Rodelinda am Theater an der Wien oder die Harnoncourt Show

 

Melancolia Eterna zu Rivalitäten unter Mafiosi in der Betonruine. Rodelinda am Theater an der Wien oder die Harnoncourt Show

Im Theater an der Wien hat die Intendanz der Künstlerfamilie Harnoncourt eine eigene Show zugestanden. Wie es sich für eine Show gehört, sind Stargäste zur Mitwirkung eingeladen. Und diese Stars, allen voran Danielle Denise, Bejun Mehta und Kurt Streit, die die Hauptrollen im Spektakel übernommen haben, singen und spielen so herausragend brillant, dass sie der Harnoncourt Family geradezu die Show stehlen. Sie wird es verkraften. Ihr bleibt immerhin der Ruhm, ein Spektakel vom Allerfeinsten, Musiktheater auf höchstem Niveau zu präsentieren. Während der Maestro mit  gewohnter Routine und Verve mit seinem Orchester, dem Concentus Musicus Wien, auf Originalinstrumenten  den  vielleicht authentischen Händel Klang hervorzaubert, verzichtet  Philipp Harnoncourt als Regisseur auf allen barocken Zauber. Wie einstens David Alden in seiner berühmten Münchner Rodelinda verlegt auch Harnoncourt das Geschehen ins Gangstermilieu. Doch anders als bei Alden befinden wir uns nicht in der amerikanischen Szenerie der Dreißiger Jahre mit ihren Film Noir Sequenzen, sondern wohl unter italienischen Gangstern von heute, die in der Immobilienspekulation in Neapel oder Palermo mitmischen. Diesen ist nicht nur der Boss abhanden gekommen, sondern wohl auch das Kapital. Denn nicht von ungefähr hausen sie alle zusammen in einer Betonruine und lassen zu, dass im Erdgeschoss die Obdachlosen Unterschlupf finden. Unsere Gangster haben andere Sorgen. Der neue Boss will zur Festigung seiner Macht die Gattin des Verschollenen (bei Händel die Primadonna: eine gewisse Rodelinda) ehelichen. Ein Projekt, das dieser nicht im geringsten zusagt, zieht sie doch die Rolle der klagenden Witwe vor – mit den entsprechenden Lamenti und Zornausbrüchen. Ein Glück, dass der Verschollene (bei Händel der Primo Uomo: ein gewisser Bertarido) nur eine Auszeit bei den Pennern und Asylanten genommen hat, heimlich zurückkehrt und weniger ein Gangsterboss, sondern vor allem ein Familienmensch und noch dazu ein  Gutmensch  ist. Er kriegt, obwohl der neue Boss ihn eigentlich erledigen will, die Gattin wieder, rettet dem Rivalen das Leben, und alles wird gut: eben wie es  das obligatorische lieto fine der Barockoper verlangt. Regisseur Harnoncourt nimmt diesem Geschehen – im Grunde eine simple Dreiecksgeschichte, die sich mit den konventionellen Themen Machtgier und Verrat verbindet – jegliche Schwere und transponiert es – zunächst unmerklich und vorsichtig, doch dann mit immer größerem Tempo – in die Parodie des Gangsterfilms und der Familienidylle, um schließlich im Finale beim großen Versöhnungsfest geradezu bei  der Parodie eines Déjeuner sur l’herbe zu landen. Nicht genug damit. Ähnlich wie beim Abspann einer Fernsehshow singt und tanzt das Ensemble als Zugabe noch einen Hit, und Maestro Harnoncourt macht mit und parodiert von der Bühne aus seinen eigenen Dirigierstil. Die  durchaus überzeugende Option für die Parodie des Gangsterfilms mit dem  – um es salopp zu sagen – mit dem Soundtrack der opera seria hat indes gewisse Tücken und schrammt manchmal ziemlich nahe an der Klamotte vorbei. Wenn Gangster und Familienmensch Bertarido in der Küche seines Mitarbeiters die Kindlein wiegt und den Kuchen zerdrückt, Gangsterbraut Rodelinda im Anna Magnani Outfit das Brautkleid bügelt, die Gangsterschwester mal eben einen Quickie mit dem Vizegangsterboss hinlegt, der zehnjährige Knabe mal eben die ganze Mannschaft mit zwei Pistolen in Schach hält, die Bodyguards sich einen Joint drehen und einschlafen, ja dann ist es  von der Parodie zur Klamotte wohl nur noch ein halber Schritt. Doch lustig und amüsant ist das alle Male. Und  es stört auch nicht weiter, dass so manche Arie konventionell und brav von der  Rampe gesungen wird und manch andere im Hyperaktionismus (und leider auch in Albernheiten) beinahe untergeht. Schön gesungen wird alle Male. Wie dem auch sei. Die Wiener Harnoncourt Show ist ein Opernereignis, das man nicht versäumen sollte. Wir sahen die Aufführung am 26. März. Die Premiere war am 20. März 2011