Die Ballade von den erlösungssüchtigen Börsenspekulanten oder des Börsianers Fluch und Ende. Calixto Bieito inszeniert den Fliegenden Holländer an der Staatsoper Stuttgart

Bieitos Holländer hatte ich vor zwei Jahren schon einmal gesehen. Auch jetzt bei der Wiederaufnahme hat die Inszenierung nichts von ihrer Brillanz verloren. Noch immer fasziniert sie. Und so kann ich nur zitieren, was ich mir vor zwei Jahren notierte und publizierte (vgl. Zerlina von Faninal, „Die schöne Musik! […]. Da muß ma weinen“. Vom Spektakel der Inszenierungen. Blätter aus Zelinas Operntagebuch (2005-2008). München Martin Meidenbauer Verlag 2008 ).

Auch unsere sonst so hart gesottenen, von wilden Geldgeschäften gestressten, von den Steuerfahndern gehetzten Banker brauchen hin und wieder mal eine Auszeit. So machen sie denn allesamt einen Betriebsausflug und landen mit ihrem großen Schlauchboot in einer – laut Programmheft  – „stählernen Bucht“, die, so heißt es mit einem Verweis auf Max Weber weiter im Programmheft, für das „stahlharte Gehäuse des Kapitalismus“ stehen soll. Dafür dass sie „Gestrandete unserer modernen Arbeitswelt“ sein sollen, geht es den Herren in ihren Business-Anzügen, mit ihren Aktenköfferchen, ihren Bilanzen, Börsennachrichten, Wertpapieren, Kontoauszügen, mit denen sie nur so um sich werfen, allerdings recht gut. Der Vize-Direktor des Unternehmens (bei Wagner der Steuermann) schafft zur Unterhaltung gleich eine Variétébühne en miniature herbei, aus der drei Playboyhäschen und ein Zirkusgnom im Brautlook kriechen und gibt dazu noch selber eine Gesangseinlage. Nur einer der Börsianer (bei Wagner der Holländer) will ernsthaft aussteigen, wirft seine Geschäftspapiere davon, träumt davon, dass endlich eine Frau sich seiner annimmt, auf dass er sich vom ewigen Stress an den diversen Finanzplätzen der Welt erholen kann. Aber skeptisch wie er ist, probt er schon mal mit Feuer und Benzin den Selbstmord. Da bietet ihm der Kollege Donald ein neues Geschäft an: ein Domizil nebst Hausfrau, und unser gestresster Aussteiger greift zu.  Um endlich seine Ruhe zu haben, um endlich ein trautes, treues Weibchen zu bekommen, scheut er auch nicht davor zurück, seine Banksafes zu plündern und sie dem Kollegen Donald, der zu Hause noch eine unverheiratete Tochter sitzen hat, im Austausch gegen diese anzubieten. Eine auch unter Bankern etwas ungewöhnliche Transaktion. Aber der gute Donald (so heißt er in der in Stuttgart gespielten Urfassung) muss schließlich an seine Altersversorgung denken, und der Handel, den der Kollege Holländer anbietet, ist in der Tat mehr als vorteilhaft.

Calixto Bieito präsentiert in Stuttgart, obwohl nicht wenige Szenen eine parodistische Rezeption recht nahe legen, eine ernsthafte Variante des Holländer-Mythos, wenn er seinen Protagonisten zum Banker oder Businessman, zu einem „Kapitalisten“ macht, der inmitten einer vom „Kapital“ und von „Spekulanten“ bestimmten Welt der Geschäftemacherei überdrüssig ist und nur noch eines will: das Ende. Und für das Ende sorgt dieses Mal nicht Alberich, also nicht die Macht und das Kapital, sondern das „Weib“.  Angesichts dieses vom Libretto her vorgegebenen Ausgangs, angesichts der Zwänge des Mythos geht Bieitos Kapitalismus Konzept, das im ersten Akt  so wunderschön und so konsequent funktionierte, vom zweiten Akt an nicht mehr auf. Der Chor der Spinnerinnen lässt sich zwar noch leicht in einen Chor von Werbedamen für Siemens Kühlschränke transformieren, der abgewiesene Erik, der in der Urfassung noch als Georg firmiert, geht vielleicht noch als „Verlierer der Globalisierung“  oder auch als  frustrierter und gewalttätiger Unterschichten Typ durch, wenn er da in seinem billigen Sportdress herumläuft, eine Axt schwingt und nicht so recht weiß, ob und wie er diese benutzen soll. Die Figur der Senta mit ihrem Erlösungswahn passt allerdings nur schlecht oder allenfalls mit einigen Verrenkungen in eine Kapitalistenwelt. Aber vielleicht ist ihr Wahn ja auch nur eine psychische Störung, nur sexueller Frust, verdrängte Sexualität, die sich in einer ausschließlich  merkantil bestimmten Welt nicht ausleben lässt? Bieitos Senta läuft, noch bevor ihr Holländer leibhaftig auftaucht, schon mit der Matratze unter dem Arm herum und zieht ihr Objekt der Begierde, das eigentlich lieber von Erlösung und Treue schwafeln möchte, gleich auf die Matratze. Vor die Erlösung haben die Götter den Sex gesetzt? Allein die Erlösung findet in der Urfassung ja gar nicht statt. Oder vielleicht doch? Schlägt Erik alias Georg dem Rivalen vielleicht mit der Axt den Kopf ab? Oder kreuzigt ihn die Masse? Das Schlussbild zeigt einen Holländer, der in der Pose des Gekreuzigten in seinem Schiff (dem Schlauchboot aus dem ersten Akt) hängt – und daneben steht ein nackter Mann. Sex und Crime und christliche Symbole? Der Holländer zu guter Letzt auch noch eine Postfiguration Christi?

Bieitos Holländer ist eine spektakuläre Inszenierung, ein, wenn man so will,  Kinofilm mit action und suspense von der ersten bis zur letzten Minute. Ehe ich es vergesse: es wurde auch gesungen und musiziert. Barbara Schneider-Hofstetter als Senta ist eine grandiose Sängerschauspielerin. Vielleicht sollten die Stuttgarter, was den musikalischen Part angeht, ihren Fliegenden Holländer unter dem Namen „Senta“ verkaufen. Ein solcher Reklamegag würde vielleicht die Rendite erhöhen.

Wir sahen die 22. Vorstellung nach der Premiere am 25. Januar 2008.