Händels späte Oper gehörte in der Inszenierung von David Alden viele Jahre lang zu den Glanzstücken im Repertoire der Bayerischen Staatsoper. Eine Inszenierung, die in ihrer Verbindung von barocker Festoper, Traum- und Metatheater, Tanztheater und intermedialen Verweisen mich immer wieder fasziniert hat. Und wenn noch dazu unter der Leitung von Ivor Bolton herausragende Sänger auf der Bühne standen, dann blieben in München keine Wünsche offen. So sind denn jetzt auch in Karlsruhe die Erwartungen recht hoch, und sie werden, um es gleich vorweg zu sagen, nicht enttäuscht. Zwar geht es nicht so manieriert zu wie in München. Doch auch beim Badischen Staatstheater singt und agiert ein hoch karätiges und hoch motiviertes Ensemble, allen voran Franco Fagioli und Kirsten Blaise in den Rollen des naiven, leichtgläubigen Ariodante bzw. der leidenden, in den Wahnsinn getriebenen Ginevra. Und wenn dann noch dazu Michael Hofstetter dirigiert, dann versteht es sich gleichsam von selber, dass ein höchst facettenreicher Händel erklingt. Ob die Inszenierung mit dem musikalischen Part mithalten kann? Ich weiß es nicht. Gefallen hat sie mir allemal. Boysen, der neben der Regie auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnet, hat tief in die Theaterkiste gegriffen und wirft all das, was er darin gefunden hat, gleichsam spielerisch in die Luft oder, wenn man so will, seinem Publikum an den Kopf, und bereitet uns mit all dem Theaterkram einen höchst vergnüglichen Abend. Frei nach dem Motto: alles, was ihr seht, ist doch nur Schein und Trug, Schein und Trug, die wir als Publikum im Gegensatz zu den Akteuren auf der Bühne gleich durchschauen. Dieses Spielen mit dem Schein sowie der Kontrast zwischen dem Leiden an der Scheinwelt, wie es den beiden Protagonisten widerfährt, und dem Lachen über die Scheinwelt des Theaters, eine Rolle, die dem Publikum zufällt, ist wohl die Grundkonzeption der Inszenierung. Und diese geht auf. Böse Zungen könnten angesichts des ganzen Theaterplunders, der da präsentiert wird, allerdings auch von einem post-postmodernen Zitatensalat sprechen und über die heterogenen Zutaten spötteln. In der Tat greift sich die Regie vom sizilianischen Marionettentheater mit seinen Rittern und Kämpfern, dem Teatro dei Puppi, über das klassische französische Theater und Arkadiens Nymphen bis hin zur Lehar Operette und zum Musical, ja bis hin zu Brechts Schautafeln und dem Metatheater so ziemlich alles, was da im Theaterfundus herumliegt. Und all dies mischt sich zu einem Konglomerat aus Tragischem und Komischem, aus Parodie und Groteske, beinahe wie im französischen romantischen Theater oder, wenn so will, wie in einem Shakespeare Stück. Ginevra ist bei ihrem ersten Auftritt im Theater auf dem Theater eine Art Porzellanfigur, vielleicht auch eine Marionette. Und aus ihrer Schleppe kriecht der intrigante Polinesso hervor, in Kostüm und Maske einer französischen Theaterfigur aus der Zeit Ludwig XIV. Ariodante spielt zu seinem ersten Auftritt den Gärtner unter den Nymphen und wenn er dann angetan mit Zylinder und weißem Schal zu seiner bevorstehenden Hochzeit enteilt, dann setzt er sich als Johannes Heesters Parodie in Szene. Der König mit langer grauer Perücke und der Krone auf dem Haupt könnte Grimms Märchen entlaufen sein. Zur berühmten Leidensarie des Ariodante („Scherza infida in grembo del druido…“) erzeugt die barocke Bühnenmaschinerie Meereswellen – und das Publikum sieht dabei, ganz wie es sich für einen Metatheatergag gehört, wie die Wellen gemacht werden. Und der böse Kleriker stürzt in schauerromantischer Manier den armen Ariodante in die Wellen, in die Scheinwellen. Ginevra wird wie in einem Mysterienspiel als vermeintliche Sünderin ans Kreuz gebunden, und sie wäre beinahe als wahnsinnige Ophelia, allerdings nicht im Wasser, sondern am Strick, dahin gegangen, wenn nicht alle Mitwirkenden, die die Arme beim schnellen Versöhnungsfest beinahe vergessen hätten, sie in einer grotesken Szene – alle kriechen auf dem Bauch hin zu Ginevra/Ophelia – nicht im letzten Augenblick gerettet hätten. Für das Finale hat sich die Regie noch einen besonderen Gag aufbewahrt. Zwar kann und will sie das obligatorische lieto fine nicht abschaffen. Doch sie karikiert es, zeigt es als Trug und Schein und als Einstieg in ein Antimärchen. Ariodante kriegt zwar seine Ginevra – scheinbar. Zum Schlusstanz verkünden Schautafeln das künftige Geschick der Akteure, und dies ist keineswegs „lieto“ – glücklich. Ginevra wird aus dem Wahn, in den sie die Hofgesellschaft getrieben hat, nicht mehr herausfinden, Ariodante stirbt jung, einsam und verlassen, der König wird…., Dalinda wird…. In Karlsruhe hat eine geistreiche Regie, die souverän mit den Mitteln des Theaters zu spielen weiß, einen großen Theaterabend herbeigezaubert. Ob dieser Theaterzauber immer mit Händels Musik konform ging? Ich weiß es nicht. Wir sahen die Premiere am 19. Februar 2010.