Nein, so böse, wie das klingt, war die Bemerkung einer Besucherin wohl nicht gemeint. Und sie bezog sich wohl auch nicht auf die gesamte Inszenierung, sondern nur auf das Bühnenbild im letzten Akt. Aus dem nächtlichen ‚Garten der Lüste’ (für simple Gemüter: aus dem Garten der amourösen Verirrungen) ist in Essen ein Schrottplatz für die ausgedienten gräflichen Kutschen geworden, die ohne Rücksicht auf die Umweltverschmutzung geradewegs vor einem Pinienwäldchen abgestellt worden sind. Wir wollen das Schrottplatzmotiv nicht zum Symbol des Essener Figaro machen. Aber vielleicht sollten die Verantwortlichen im Aalto-Theater ihre etwas sehr in die Jahre gekommene harmlos-konventionelle Inszenierung doch bald ‚abwracken’, eine Inszenierung, die, mag sie auch vor mehr als zehn Jahren in manchem Feuilleton gelobt worden sein, brav und bieder das historische Ambiente der Mozart Zeit nachzustellen sucht, die das erotische Geflecht zwischen den handelnden Personen allenfalls andeutet und die von den möglichen Konflikten zwischen den Ständen, vulgo: von einem prärevolutionären Zeitgeist erst gar nichts wissen will. Mit einer solchen Produktion erregt man nirgendwo Anstoß.
Und wie sie unserem wohl mehrheitlich aus den Kleinstädten des Münsterlandes angereisten Publikum gefallen hat, so hätte sie wohl einstens auch Kaiser Joseph II. und seinen Höflingen gefallen, wenngleich der Hofkaplan vielleicht bemängelt hätte, dass die Contessa den Sektkübel am Alkoven stehen hat und der Conte seinen ersten Auftritt im Nachthemd (über das er allerdings schnell den Morgenmantel wirft) absolviert. Das waren wohl auch die einzigen Kühnheiten, die einzigen kleinen Verstöße gegen das, was sich ziemt (gegen die klassische „bienséance“), die sich Regisseur und Ausstatter erlaubt haben. In Essen spielt man halt den Figaro, wie man ihn schon immer gespielt hat. Alles ist halt so, wie man das so kennt: die Gräfin jammert ein bisschen (wie das halt alle Ehefrauen nach ein paar Jahren Ehe tun), der Graf will das Mädchen (wie halt alle Männer), der Liebhaber (hier unser Figaro) kann es an Witz nicht mit den Damen aufnehmen (wie halt alle selbstgefälligen jungen Männer), das Personal ist ein bisschen aufmüpfig (aber halt nicht so viel). Und das Wichtigste: alle tragen sehr hübsche Kostüme (am aufwendigsten sind natürlich die der Herrschaften), und am Ende vertragen sich alle wieder( so ist das halt in der Komödie). Vergessen wir einfach die hübsch-konventionelle Inszenierung. Das Biedere gefällt halt allemal. Doch wer einen schön gesungenen Mozart hören, wer junge Sängerschauspieler in den Hauptrollen auf der Bühne agieren sehen wollte, der kam in Essen an diesem Abend auf seine Kosten. Als Contessa gab am Aalto- Theater die amerikanische Sopranisten Jacquelyn Wagner ihr Debüt. Den Namen sollte man sich merken.
Die Premiere war am 30. Mai 1998. Wir sahen die, ich weiß nicht die wievielte Vorstellung.