Zwischen der Bismarckstrasse und der Straße Unter den Linden liegen Welten. Dort präsentiert man am Samstagabend für verknöcherte Wagnerianer ein biederes Lohengrin Spektakel. Hier macht man am Tag darauf aus Händels Agrippina, der Geschichte von der machtbewussten, intriganten römischen Kaiserin, der es mit allen nur möglichen Finten gelingt, ihren Sohn Nero zum Kaiser zu machen, eine Operette in modernen Kostümen. Und dazu braucht es noch nicht einmal eines Bühnenbildes oder gar der Dekorationen. Es genügen ein großes Sofa, auf dem sich der Kaiser Claudius rekeln kann und glitzernde Fäden, die vom Schnürboden herabhängen und die die Illusion vom permanenten Regen, unter dem die Akteure stehen, erzeugt. Die Referenzen auf die populäre Wassersymbolik sind mehr als deutlich. Und wenn dann die Akteure große schwarze Regenschirme für phallische Positionen nutzen, dann haben wir alle im Publikum verstanden, dass Agrippina bei allem Intrigengeplapper doch primär ein Lust-Spiel ist, das nicht von ungefähr zum Karneval in Venedig uraufgeführt wurde und dort in der Saison 1709/1710 mit überwältigendem Erfolg lief. Spielfläche ist die glitzernde Bühne und dazu ein breiter Laufsteg zwischen Orchestergraben und Zuschauerraum. Auf dieser doppelten Spielfläche agiert und singt ein glänzend aufgelegtes Ensemble. Allen voran vielleicht Bejun Mehta und Anna Prohaska in den Rollen des Ottone und der Poppea, doch auch alle anderen Sängerschauspielern stehen den beiden Protagonisten kaum nach. Selbst Maestro Jacobs, den man als einen eher bedächtigen Musiker kennt, als einen Musiker, der Händels Melancholien gleichsam bis zur Neige auszukosten liebt, ließ sich von der Leichtigkeit und Spritzigkeit der Inszenierung anstecken und bot einen temporeichen, geradezu witzigen Händel. Ja, in einer berühmten Passage, in der sich Händel selber zitiert (war es ein Stück aus Il Trionfo del Tempo e del Disinganno?) glaubt man seinen Ohren nicht zu trauen. Da lässt doch der sonst so seriöse Maestro Händel geradezu im Walzertakt spielen. Der Witz der Inszenierung liegt indes nicht nur in der Unbeschwertheit, der Leichtigkeit und der Eleganz, mit der das Produktionsteam (Vincent Boussard, Vincent Lemaire, Christian Lacroix) die Intrigen der Agrippina, die Trottelhaftigkeit des Claudius, die Verschlagenheit des kleinen Nero, die Naivität der Liebenden in Szene setzt, diese parodiert und ironisiert und dem Gaudi der Zuschauer aussetzt. Es gibt noch eine zweite, eine subtilere Ebene der Inszenierung. Alle Figuren sind mal mehr, mal weniger Zitate, Kontamination von Zitaten aus Opernfiguren. Claudius, der auf den ersten Blick wie ein Kölner Karnevalsprinz daher kommt, ist zugleich ein lüsterner und dann wieder auch ein müder, resignierter Falstaff. Poppea, die bei ihrem ersten Auftritt an eine Art Butterfly erinnert, mutiert im zweiten Akt zur Almirena aus der Münchner Rinaldo Inszenierung. Agrippina ist eine moderne Mischung aus Armida und Carmen, die Hofschranzen erinnern an die beiden Intriganten Rosenkranz und Güldenstern aus dem Hamlet, der schmachtende Ottone ist ein Werther Verschnitt usw. usw. Ein höchst unterhaltsame Inszenierung, die auf alle billigen Gags verzichtet, eine Aufführung, die zu den besten gehört, die ich in der Berliner Staatsoper gesehen habe. Wir sahen die Aufführung am 7. Februar 2010. Es war laut Programmheft die zweite Vorstellung nach der Premiere am 4. Februar 2010.