Donizettis Maria Stuarda – so belehrt uns das Programmheft – war nach politischen Querelen in Neapel und der missglückten Uraufführung im Jahre 1835 aus dem Repertoire verschwunden. Erst mehr als ein Jahrhundert später wurde die Oper gleichsam wiederentdeckt und gilt heute als eines der großen Werke Donizettis: eine tragedia lirica und ein Juwel des Belcanto.
Belcanto in Vollendung war es in der Tat, was im Theater an der Wien zu hören war. Zwei Sopranistinnen, die im ersten Akt gleichsam um die Wette singen, ein Wettstreit, bei dem im zweiten Akt die Protagonistin so große Szenen hat, dass sie die Rivalin zur Nebenfigur degradiert. Ein Tenor, der im Wortverstande zwischen den beiden Damen steht. Ein Bass, der im zweiten Akt seinen großen Auftritt hat.
Wie Maria Stuarda in der Person der Marlies Petersen im zweiten Akt die großen Arien singt, wie sie die Beichtszene mit Talbot in der Person des Stefan Cerny gestaltet, den Abschied von Roberto (Norman Reinhardt), die Verzweiflung und die überwundene Angst angesichts des gewaltsamen Todes, das ist grandios und zugleich anrührend. Hier war eine höchst brillante Sängerin und eine exzellente Tragödin zu bewundern.
Libretto und Szene ordnen sich der Macht des Belcanto unter. Das Libretto streicht all das hoch gestochene Schiller Material, all das hohle und heute so schwer erträgliche Weimarer Pathos, streift die politischen Implikationen allenfalls als Nebenmotiv. Schillers Königinnen Drama um Elisabeth und Maria Stuart wird zum Zickenkrieg reduziert, zur melodramatischen Dreiecksgeschichte konzentriert, in der sich zwei Damen um einen Mann, den blässlichen, schwächlichen Roberto, den Conte di Leicester, streiten. Im Libretto unterzeichnet Elisabetta aus Wut und Eifersucht das Todesurteil gegen Maria. Die Regie tut ein Übriges, um diese Variante zu verstärken, wenn sie in der finalen Pantomime Elisabetta selber das Beil gegen Maria schwingen lässt. Fürwahr ein spektakulärer Zickenkrieg.
Die Inszenierung und vor allem die Ausstattung sind gewöhnungsbedürftig. Die Szene ist ein mit Holz getäfelter geschlossener runder Raum mit Brettern an den Wänden, die als Sitzgelegenheit dienen. Spielfläche ist eine in der Schräge verstellbare Scheibe. Signalisiert das Holztheater einen Verweis auf Shakespeares Globe Theatre? Vielleicht. Soll die schräg gestellte Scheibe zwei Spielflächen ermöglichen? Eine untere und eine obere? Vielleicht. Die Choristen, die in großer Zahl je nach Bedarf auf den Brettern hocken, die untere oder die obere Bühne bevölkern, sind mal Zuschauer im Globe Theatre, mal Mitspieler.
Im ersten Akt treten die Akteure in den historischen Kostümen der erzählten Zeit auf. Im zweiten Akt in der Kostümierung unserer Zeit. Zickenkrieg, Rachsucht, Justizmord aus vermeintlicher Staatsräson? Jederzeit und überall? Vielleicht. Ist die Trennung von Bühne und Saal aufgehoben? Sehen und erleben die Zuschauer auf der Bühne und die im Saale eine Tragödie, die sich im 16. Jahrhundert ereignet und zugleich deren heutige Variante? Stehen die mitspielenden Zuschauer auf der Bühne für die Zuschauer im Saale? Werden auch letztere hineingezogen in eine Dreiecksgeschichte, in der die Mächtigen einen Justizmord begehen?
In Christof Loys Inszenierungen, so wissen seine Fans, geht es nicht nur minimalistisch zu. Hier wird die Mitarbeit des Publikums eingefordert. Hier wird an dessen Imaginationskraft appelliert. Ergänzen wir also mit unserer Phantasie die Vorgaben, die uns die Regie macht und genießen wir Donizettis Belcanto, wie ihn uns so außerordentliche Sängerinnen und Sänger wie Marlis Petersen, Norman Reinhardt, Stefan Cerny und nicht zuletzt Alexandra Deshorties in der Rolle der Elisabetta präsentieren.
Ein großer Opernabend im Theater an der Wien. Wir besuchten die Aufführung am 28. Jänner 2018. Die Premiere war am 19. Jänner 2018.
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