„Muss man 70 Jahre alt werden, um zu erkennen, dass man eigentlich zum Kitsch die meiste Begabung hat“. Was einst Richard Strauss mit milder Selbstironie zur Arabella bemerkte, trifft wohl den Sachverhalt. Kitsch oder zumindest Operette ist diese süß rührselige „lyrische Komödie“ um die kühle verarmte Schöne aus der Wienerstadt und den schwerreichen ungehobelten Märchenprinzen aus den slawonischen Wäldern, um das androgyne Mädchen und den bisexuellen Leutnant, um den heruntergekommenen spielsüchtigen Papa und das groteske Trio der drei Grafen alle Male. „Zweifelhafte Existenzen!“ – der Stoff und die Figuren, aus denen die Komödien sind.
In Leipzig will man von der Operette nichts wissen. Auch von der Melancholie der Arabella, mag sie auch schon mal das Tragische streifen, hält man sich fern. Regisseur Jan Schmidt-Garre, der sich vor allem als Filmemacher hervorgetan hat, bleibt bei seinem Genre und macht aus Hofmannsthals „lyrischer Komödie“ eine seichte, noch nicht einmal witzige amerikanische Filmkomödie. Seine Arabella ist keine kapriziöse Wienerin, sondern eher eine zickige Doris Day, eine junge Frau, die sehr genau weiß, was sie will: einen reichen Mann, vulgo: einen Versorger, den sie domestizieren wird. Ob sie dabei auf ihre Verehrer verzichten wird? Eine Frage, die die Regie eher offen lässt. Und damit wir auch alle im Parkett merken, dass dies wohl die Grundkonzeption der Inszenierung ist, darf der Herr Mandryka sich immer wieder hinknien oder auf den Boden werfen und sich im Finale allein in Arabellas Bett legen. Doch keine Angst: wir sind in der Komödie, und die verlangt ja per definitionem einen heiteren und glücklichen Schluss. Die „Allerschönste“ weckt den armen Märchenprinzen aus tiefem Schlaf, auf dass die Komödie (und auch der Kitsch) zu ihrem Recht kommen: „Und so sind wir Verlobte und Verbundene auf Freud und Leid, und Wehtun und Verzeihn!“ –
Richtig wir sind in der Komödie und in Leipzig noch dazu in der Filmkomödie, und die verlangt bekanntlich vor dem Ausblenden die Kuss-Szene in Großaufnahme. Auch bei Hofmannsthal heißt es „Sie sinkt ihm in die Arme“ – ohne Zuschauer. Für den Film genügt das nicht. In der Leipziger Filmkomödie sind sie alle als Voyeurs auf der Bühne: Mama und Papa, die grotesken (angeblich abservierten) drei Grafen, die ganze Gesellschaft der „zweifelhaften Existenzen“ und genießen die finale Großaufnahme.
Ja, warum soll man aus einer „lyrischen Komödie“ nicht eine Filmkomödie und aus der kapriziösen Arabella nicht eine Frau machen, die die Männer zu domestizieren weiß. Musik und Libretto mögen mit dieser Konzeption nicht immer konform gehen. „Allein, was tut’s“. Ärgerlich ist indes, dass unser Filmemacher im ersten Akt auf die harten Schnitte der Filmtechnik nicht verzichten will und ständig die Kulissen hin und her schieben lässt. Zu Beginn sind wir in einer dunklen Vorhalle, dann im Schlafzimmer der Arabella, dann im Vorzimmer, dann im Besucherzimmer, dann im Herrenzimmer, dann wieder in der Vorhalle usw. So gibt’s denn als Zugabe zum Piano des Orchesters Kulissenschieberei als Basso continuo.
Wie schade, dass eine musikalisch so exzellente Aufführung von einer, um es vorsichtig zu sagen, missglückten Inszenierung kontrakariert wird. Dass das Gewandhaus Orchester unter Leitung von Ulf Schirmer einen Strauss der Spitzenklasse zelebriert, versteht sich von selber. Dass die Oper Leipzig die Hauptrollen mit hochkarätigen Sängern aus dem eigenen Ensemble zu besetzen weiß – mit Betsy Horne als Arabella, Olena Tokar als Zdenka und Tuomas Pursio als Mandryka – beweist wieder einmal den großen Aufschwung, den das Haus in den letzten Jahren genommen hat. Ein in Orchesterklang und Gesang großer Opernabend in Leipzig.
Wir sahen die Premiere am 18. Juni 2016.