Rudolph Valentino kehrt zurück. Ein traumhaft schöner Maskenball an der Bayerischen Staatsoper

Das Feuilleton jubelt und kann sich an lyrischen Orgasmen nicht genug tun. Da lässt Maestro Mehta schon mal „einen Tornado durch die Streicher fahren“. Da geht die Musik – Gott bewahre – nicht einfach los: „sie weht, fast frei von Absichten und Zielen, herein wie ein Vorhang bei leichtem Wind“. Die Windmetaphorik hat es unserem Feuilletonisten besonders angetan. Wenn die „schier unübertrefflichen Stimmen“ von Anja Harteros,  Piotr Beczala und Okka von Damerau ihr Terzett singen, dann „trägt dieses Terzett wie die Thermik einen Gleitflieger trägt zur Sommerzeit am Tegelberg hinter Schloss Neuschwanstein“. Was mag unserem Zeitungsmann wohl in der Opernloge widerfahren sein. Ist ihm der Herr von Neuschwanstein im seligen Traum erschienen?  Hat ihm der „zeffiretto lusinghiero“ die Sinne verwirrt. Oder hat ihn gar die schöne Harteros  mit ihrem Sirenengesang betört? Warum sagt er nicht einfach: „Dem Vogel, der heut sang, dem war der Schnabel hold gewachsen“. Und es klang „wie Vogelsang im süßen Mai“. Nein, die Wagner Metaphern und Vergleiche, die sind zu Analogie verdächtig. Da müssen die ‚kühnen Metaphern‘ her, mag ihr Bedeutungsgehalt auch gleich Null sein.

Doch seien wir nicht so streng mit unseren geplagten Musikkritikern. „Verachtet mir die Meister [die Großkritiker] nicht, und ehrt mir ihre Kunst“. Es wird in der Tat beim Münchner Maskenball so überragend gesungen und musiziert, warum sagen wir nicht: so rauschhaft schön gesungen, dass einem die Worte fehlen, diesen Rausch von Verdi Musik auf Begriffe zu bringen. Oder einfacher gesagt: auch wenn man kein Verdi-Fan ist und einem frei nach Tonio Kröger diese ganze Italianità, diese bellezza manchmal auf die Nerven geht, diese Maskenball Musik, wie sie hier zur Zeit in München zelebriert wird, das ist einfach das Nonplusultra der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts.

Und die Regie, für die Johannes Erath verantwortlich zeichnet.? Sie hat es bei dieser Übermacht der Musik nicht leicht und wohl nicht zuletzt deswegen  hat sie von vornherein darauf verzichtet, das Libretto buchstabengetreu in Szene zu setzen. Ihr geht es auch nicht um eine gleichsam philosophische  oder besser gesagt: um eine küchenphilosophische Interpretation („Alles kreist um die traumwandlerische Schwebe des Menschen“), wie der schon zitierte Feuilletonist uns  glauben machen möchte. Ihr geht es eher um ein Zusammenspiel der Künste. Einfacher gesagt: hier wird mit Verweisen auf ein anderes Medium gespielt.

Die Inszenierung bewahrt die Struktur des Librettos – die Dreiecksgeschichte – und verwandelt diese in eine Traumerzählung, in ein Drehbuch aus der Stummfilmzeit und stellt den einstigen Kultfilmstar  Rudolph Valentino in den Mittelpunkt des Geschehens. Valentino (in der Person des Piotr Beczala) ist Hauptdarsteller und Regisseur in einer Person. Er inszeniert, nein, besser: er erträumt seine eigene Geschichte, seine Leidenschaft für Natacha Rambova(?), seinen frühen Tod und seine eigene Legende. Der Star geht mit seinem Tode  nur scheinbar davon. Als Objekt der Zuneigung und Bewunderung seiner Fans wird er weiter leben.

Die Regie ist weit davon entfernt, diese durchaus überzeugende Grundkonzeption dem Zuschauer aufzudrängen. Sie lässt der Imagination des Publikums freien Raum. Wer mag, der kann das Bühnengeschehen als Erzählung aus der Stummfilmzeit  verstehen, als eine ganz banale Geschichte, bei der es um nichts anderes geht als um Liebe, Eifersucht, Untreue, gehörnte Ehemänner, leidenschaftliche Liebhaber, ängstliche und doch leidenschaftliche Frauen, verratene Freundschaft und um Mord. Eben der Stoff, aus dem die klassischen italienischen Novellen sind.

Doch all dies ist gar nicht so wichtig. In München ist Un ballo  in maschera zu bewundern, bei dem sich die Regie nicht in den Vordergrund drängt, sondern der Musik den Primat überlässt. Prima la musica, dopo la messa in scena. Ein großer Opernabend in der Bayerischen Staatsoper. Opernkulinarik vom Allerfeinsten.

Wir sahen die Aufführung am 9. März 2016. Die Premiere war am 6. März 2016.