Der Pianist Zemlinsky – so erfahren wir im Prolog – hat es wirklich schwer. Legt er seinen Kopf in den Schoss der mütterlich-reifen Alma, seiner Klavierschülerin, dann schubst ihn diese nicht nur robust vom Klavierhocker, sondern zerrt ihn noch dazu vor den Spiegel, auf dass er seine mickrige Figur sehe. Und dann rauscht sie ab – wohl hin zum Hofoperndirektor Mahler, nach dem sie schon während der Klavierstunde Ausschau gehalten hat. Nicht genug damit. Die Regie hält noch eine weitere Demütigung für den armen Zemlinsky bereit. Als Soundtrack zur Szene spielt das Orchester ein Stück von Schönberg. Kleinwüchsig ist der Alexander. Kleinwüchsig ist der Komponist Zemlinsly. Gleich doppelt benachteiligt (neudeutsch: diskriminiert). Dem Mann muss geholfen werden.
Oscar Wildes Antimärchen von der Prinzessin, die einen stimmgewaltigen Zwerg als Spielzeug zum Geburtstag geschenkt bekommt, die diesen mit ihrer Koketterie und ihrem Sadismus vernichtet, bietet vielleicht Identifikationsmöglichkeiten, spiegelt vielleicht das Geschick des Komponisten. Wollte dieser mit der Musik zum Antimärchen seine ’Komplexe‘ ‚sublimieren‘?
Es mag sein, dass eine biographische Deutung, eine Referenz auf das Leben des Komponisten, die Grundkonzeption der Inszenierung bestimmte. Doch im Laufe des Spiels verliert sich diese Referenz und wird erst im Schlussbild wieder aufgenommen: die Büste Zemlinskys findet ihren Platz unter den Büsten der großen Komponisten.
Was wir auf der Bühne sehen, das ist kein Märchen und kein Antimärchen, sondern eine Satire, eine Gesellschaftssatire auf die Welt der Reichen und Schönen von heute. Eine gelangweilte Göre und deren Freundinnen spielen mit einem kleinwüchsigen Entertainer herum, amüsieren sich über dessen Behinderung, treiben das Spiel so weit, dass dieser glaubt, er sei ‚das Objekt der Begierde‘ und nicht bemerkt, dass er nur das Objekt des Spotts und der Verachtung ist, ein Spielzeug und weiter nichts. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit, zu der in die Gören drängen, zerstört alle Illusionen. Nein, genauer: er selber konfrontiert sich mit seinem ihm bisher unbekannten Ich: der Blick in den Spiegel tötet.
Im Spiegelmotiv schließt sich der Kreis und führt zum Prolog zurück. Der sich im Spiegel erkennende Zemlinsky nimmt sein Geschick als verschmähter Liebhaber und Epigone im Kreis der Größeren an. Sein Spiegelbild in der Gesellschaftssatire, der Zwerg, überlebt die Konfrontation mit der Wirklichkeit nicht.
Eine ehrgeizige und vielleicht eine etwas überanstrengte Grundkonzeption. Keine Frage, dass diese Konzeption brillant und mit dem bösem Zynismus eines Oscar Wilde in Szene gesetzt wird. In schnellen Schnitten reiht sich Bild an Bild: die sadistische Göre im Minikleid, die auf Party getrimmten ältlichen Freundinnen, der Zwerg und sein erträumtes elegantes und stimmgewaltiges Alter Ego (in der Person des David Butt Philip), das Hausorchester, das den Zwerg als Konkurrenten verprügelt. Die Verzweiflung des Zwergs und des Alter Ego vor der Spiegelwand usw. So spannend und beeindruckend das alles ist, fragt man sich doch, ob das Stück wirklich so viel hergibt.
Und die Musik? Eklektische Klänge: ein bisschen Anti- Schöneberg, ein bisschen Schreker und Strauss. Gibt die Musik wirklich so viel her? Ist der Komponist Zemlinsky vielleicht doch nur ein Zwerg? Vielleicht ein Zwerg auf den Schultern von Riesen? Die Musiker und die Musikhistoriker werden es wissen. Ich weiß es nicht.
Wir besuchten die Aufführung am 7. April 2019. Die 4. Vorstellung seit der Premiere am 24. März 2019.