Vivaldis Oratorium (sacrum militare oratorium), das im Jahre 1716/1717 in Venedig von den jungen Damen des Ospedale della Pietà uraufgeführt wurde, erzählt die bekannte Episode aus dem Buch Judith des Alten Testaments: um ihre Stadt und ihre Glaubensgenossen vor den feindlichen Assyrern zu retten, geht die schöne Judith in das Lager der Feinde, gewinnt dort die Gunst des Anführers und tötet diesen.
Eine effektvolle Personenkonstellation – femme fatale erledigt den mit Hybris geschlagenen Macho – und eine nicht minder effektvolle politische Parabel vom Sieg der Unterdrückten über die Unterdrücker.
Personenkonstellation und Parabel bilden für einen Theatermacher von heute mit realistischem Horizont und antifaschistischer Gesinnung geradezu eine Steilvorlage. Ganz in diesem Sinne macht Regisseur Floris Visser aus der Episode aus dem Alten Testament eine Heldenmär, die sich im zweiten Weltkrieg in einem von der SS besetzten Land ereignet, die Jagd auf Juden macht. Die Zutaten bieten sich geradezu von selber an: Deportationen, Gewalt, Vergewaltigung, Erschießung von Résistance- Kämpfern, sadistische SS-Männer und ein Obersturmbannführer, der sich von der schönen Judith, die sich als Attentäterin mehr oder weniger freiwillig anbietet, leicht verführen lässt. Die Folgen für ihn und seine Männer sind offensichtlich.
Da sitzt man in den der ersten Parkettreihe des Amsterdamer Musiktheaters, erwartet ein Fest der Musik und des Gesangs und wird gleich in den ersten Szenen mit den sattsam bekannten Klischees aus den einschlägigen Filmen konfrontiert: die brutalen, sadistischen SS-Männer, der SS-Offizier, der den galanten Feingeist mimt, Juden aller Altersgruppen, die sich voller Angst zusammendrängen, militärisch gänzlich unerfahrene Résistance-Kämpfer usw. usw.
Muss das, so fragt man sich, wirklich sein. Was soll dieser Kinorealismus auf der Opernbühne, ein Realismus, besser: ein Hyperrealismus, der im zweiten Teil (ungewollt?) in die Klamotte umkippt. Da besäuft sich der SS- Offizier so sehr mit Champagner, dass er am Tisch einschläft, da rennt die auch nicht mehr ganz nüchterne Judith mit dem Säbel in de Hand herum und weiß nicht mehr so recht, was sie dem SS- Mann nun abschlagen soll, da stolpert die Helferin mit der Pistole in der Hand herein und verliert diese gleich, so dass die arme Judith, um den in sie vernarrten Offizier abzulenken, diesen wie eine Irre abknutschen muss usw. usw.
Irgendwie passt das alles nicht zusammen: diese Mischung aus Horror und (unfreiwilliger?) Komik und dazu die so wunderschöne Musik, wie sie La Cetra, das Barockorchester Basel, zelebriert. Und man ertappt sich bei dem Gedanken, wie schön es doch gewesen wäre, wenn die Regie das Orchester auf die Bühne platziert, die Handlung nur angedeutet, diese an den Ort der Uraufführung, eben in das Ospedale della Pietà verlegt, die so brillante Musik ins Zentrum gerückt hätte. Mit einem Wort: wenn Theatermacher Visser seine stramm antifaschistische Gesinnung Privatsache hätte sein lassen und Metatheater statt Actionfilm inszeniert hätte. Aber unser Theatermann hat sich halt für die einfache politische Variante entschieden.
Wie dem auch sei. Dem Publikum in Amsterdam hat’s gefallen, und es feierte alle Mitwirkenden, allen voran die bravouröse Gaelle Arquez in der Titelrolle und das Basler Barockorchester.
Wir besuchten die Aufführung am 7. Februar 2019, die Dernière. Die Premiere war am 26. Januar 2019.
In B