Was wir beim Düsseldorfer Ring schon bei der Walküre konstatieren konnten, das gilt nicht minder für den Siegfried. Es herrscht ein krasses Missverhältnis zwischen Szene und Musik, zwischen Theater- und Musik-Part. Auf der Bühne brilliert ein erstklassiges Ensemble. Im Graben zelebriert man unter der Leitung von Maestro Kober einen Wagner comme il faut (für meinen Geschmack vielleicht etwas zu gedämpft und zu wenig rauschhaft). Die Inszenierung hingegen – so schien es mir – kommt über konventionelle Mittelmäßigkeit nicht hinaus und erschöpft sich in einem Zitatensalat aus Kultfilmen und kanonisierten Ring-Inszenierungen.
Im ersten Aufzug sind wir wohl in einem Studio in Babelsberg, wo man Fritz Lang nachstellt. Mime und Siegfried schauen sich, wenn sie gerade nicht anderweitig beschäftigt sind, Videos mit den entsprechenden Stummfilm Produktionen an.
Aber vielleicht habe ich das alles missverstanden, und die Inszenierung gefiel sich einfach nur im Trash, im Proletentrash. Da passt es nur zu gut, dass der „Wanderer“ im Obdachlosen Look auftritt, mit einem Fahrrad vom Schrottplatz ausgerüstet wird und sich zum Ratespiel auf einen ausgedienten Bürostuhl wirft – auch dieser vom Schrottplatz. Ein Glück für die Regie, dass ihr mit Cornel Frey in der Rolle des Mime ein so bühnenpräsenter und faszinierender Sänger und Schauspieler zur Verfügung steht. Sonst wäre wohl der erste Aufzug in allgmeiner Langeweile dahin geflossen.
Im zweiten Aufzug geht’s dann etwas vornehmer zu. Da sind wir in guter Patrice Chéreau Tradition bei den Großindustriellen des 19. Jahrhunderts, konkret: in einer still gelegten Industriehalle, die wohl im Kleinformat auf die Bochumer Jahrhunderthalle verweisen soll, in der man die Ruhrtriennale feiert. Ring und Schatz, die alle haben wollen, sind wohl die Milliarden schweren Aktienpakete eines Stahlbarons aus dem Ruhrgebiet. Nur konsequent ist es in diesem Zusammenhang, dass der Baron alias der Riese Fafner mit einem Monster von Dampfmaschinenlok herein fährt. Törichterweise hat er sich im Heizkessel der Lok versteckt. Und da ist es für Siegfried ein Leichtes, sein Schwert in den Kessel zu stoßen und dabei so nebenbei den armen Fafner zu erledigen.
Im letzten Aufzug da macht es sich die Regie ganz einfach und zitiert sich selber: die Helikopter Szene aus ihrer Düsseldorfer Walküre mit dem implizitem Verweis auf Apocalypse Now. So brauchen wir kein Heldengrab. Brünnhilde schläft im abgeschossenen Helikopter auf dem Pilotensitz, und „der Wecker“ drängt sich zum Wachküssen etwas mühsam in die Kabine. Ein hübscher Einfall. Mag er auch einer gewissen Komik nicht entbehren.
Und doch überrascht die Regie bei all ihrer Konventionalität mit einem Clou ( vielleicht ist es nur ein von Besetzungszwängen vorgegebener Clou). Wider all Vorgaben der Musik und des Librettos trifft der „Knabe“ Siegfried auf eine mütterliche Frau, die Ihn das Fürchten und das Lieben lehrt. Überlagern sich der Ödipus- und der Siegfried-Mythos? Wollte dies die Regie suggerieren, als sie in der Person der Linda Watson, unserer grandiosen Düsseldorfer Wagner Hausgöttin, eine reife Frau als „das herrlichste Weib“ präsentierte? Wie dem auch sei. Der Hilsdorf Ring, der mit dem Rheingold so faszinierend begann, hat mit der Walküre und dem Siegfried enttäuscht. Hoffen wir auf die Götterdämmerung.
Wir besuchten die Aufführung am 22. April 2018, die zweite Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 7. April 2018.