Klamauk im Legoland mit finaler Guillotine oder wie am Opernhaus in Graz die Regie an Le Nozze di Figaro scheitert

Mozarts Musik hält viel aus. Nein, sie hält alles aus, wenn wie jetzt in Graz unter der Leitung von Maestro Marcus Merkel gleich vom ersten Takt an  mit solchem Schwung, solcher Verve, mit solchem Effet musiziert wird. Dann hört man einfach nur noch fasziniert zu, schaut auf den Dirigenten, der keine Partitur als Gedächtnisstütze braucht, der die Musik bis hin zu allen Nuancen verinnerlicht hat, der so brillant musizieren lässt, dass man all die Plattheiten und Misslichkeiten, die sich auf der Szene ereignen, als quantité négligeable abtun kann.

Oder vielleicht doch nicht? Soll ich jetzt sagen, dass ich selten eine Inszenierung gesehen habe, die sich so wenig um Musik und Libretto schert wie die, die wir  jetzt in Graz erlebt haben. Ich spreche nicht von den Sängern. Sie gaben sich alle Mühe,  sich nicht von abstrusen Regieeinfällen all zu sehr ablenken  zu lassen. Sie sangen und agierten halt so, wie man es in einem mittelgroßen Haus erwarten kann. Bartolo darf mit einer riesigen Spritze und einer Handsäge den Doktor Eisenbart spielen und einen Lakaien erschrecken. Der eifersüchtige Conte (Achtung Standesunterschied!) darf sich mit einer Motorsäge bewaffnen und diese auch ein paar Mal aufheulen lassen. Figaro singt seine Arie im Finale des ersten Akts vor einem auf einer Tragbahre heran geschafften tödlich verwundeten Soldaten. Einer sehr jugendlichen Susanna wird eine schwarze Bubikopf Perücke verpasst, auf dass sie wie ein Dummchen aussieht. Im Finale tragen die Damen riesige Blumenkränze um die Hüften, auf dass sie zu hochschwangeren Fruchtbarkeitsgöttinnen mutieren, und im letzten Bild da sind aus den Vasallen des Grafen Almaviva rot bemützte Bühnentechniker geworden, Jakobiner, die die Guillotine für die Herrschaften aufgestellt haben.

All dies und noch vieles mehr könnte man als hübsche oder mehr oder weniger alberne Gags abtun, wenn nur die Grundkonzeption der Inszenierung stimmig und kohärent wäre oder zumindest nicht den Intentionen des Werks so diametral entgegen stünde. Mozart und Da Ponte haben, mag das auch so manchem ‚fortschrittlichen‘ Theatermacher nicht gefallen,  mit Le Nozze di Figaro  kein Revolutionsstück und erst kein Agitationsstück geschrieben. In Le Nozze di Figaro geht es eben nicht um Politik. Hier geht es um Amor, um die Liebesdiskurse, um den Wettstreit der Liebesdiskurse. In diesem Wettstreit siegt Susanna, denn sie ist die einzige, die gleich zwei Diskurse beherrscht: die Liebe als Galanterie und die ‚Liebe als Passion‘. Und wenn es etwas Revolutionäres oder Subversives in diesem Stück gibt, dann ist es das,  dass das Mädchen aus dem Volke den Ritus der Galanterie, der implizit Spiel und Unaufrichtigkeit bedeutet, besser  beherrscht als der Conte, einen Diskurs, der bisher die Domäne der Adligen war und dass sie damit den Conte mit seinen eigenen Waffen außer Gefecht setzt. Subversiv ist nicht minder, dass  Susanna mit ihrer Beherrschung der Diskurse dem eifersüchtigen kleinen Macho Figaro haushoch überlegen ist und dass damit die traditionellen Geschlechterrollen in Frage gestellt werden. Susanna ist die eigentliche Protagonistin des Stücks. Nicht von ungefähr hat man vorgeschlagen, den Titel zu ändern und aus Le Nozze di Figaro le Nozze di Susanna zu machen. Eine solche Variante ist beileibe keine feministische, sondern eine Deutung, die sich an der Musik und am Libretto orientiert.

Von all dem will die Regie nichts wissen. Sie ist von obsoleter Revolutionsromantik geradezu besessen und biegt sich  entsprechend ihre Welt zurecht. Ganz zu schweigen davon, dass sie noch nicht einmal der Text interessiert. Sonst hätte ihr auffallen müssen, dass im Finale nicht die Guillotine, sondern ausdrücklich Amor gefeiert wird: „Questo giorno di tormenti […] solo amor può terminar“ und dass die bei Beaumarchias politisch angeblich so relevante Tirade Figaros  bei Da Ponte in eine misogyne Arie, in die Parodie einer frauenfeindlichen Arie geändert wird.  „Allein, was tut’s“. Der Kopf muss ab – so mag wohl unser ‚fortschrittlicher‘ Theatermacher gedacht haben.

Wie schade, dass in Graz eine musikalisch so brillante Aufführung von einem Flopp auf der Szene konterkariert wurde. Wir sahen die Aufführung am 7. März 2018, die 11. Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 2. November 2017.