Unter Hollywood Gangstern und Serienhelden. Tobias Kratzer inszeniert Lucio Silla am Théâtre de la Monnaie in Brüssel

Von der römischen Geschichte und ihren Bürgerkriegen, vom Kampf zwischen Marius und Sulla, von der Verbannung der zur Marius Partei gehörenden Oppositionellen, vom – so will es das Libretto – Versuch des Diktators Sulla, die Tochter seines verstorbenen Rivalen Marius zu ehelichen, von der scheinbar so generösen Abdankung des Diktators und damit auch vom gattungsbedingten lieto fine, von all dem wiil die Regie nichts wissen.

Die Episode aus der Geschichte Roms, den Bürgerkrieg und den blutigen Streit der politischen Rivalen reduziert sie auf deren Grundstruktur. Und diese Grundstruktur ist eine Gangstergeschichte, ein Krieg zwischen zwei miteinander verfeindeten Verbrechersyndikaten, die um die Macht streiten, ein Kampf, in dem die unterlegene Partei – hier in der Person der Giunia, der Tochter und Erbin des Unterlegenen, um keinen Preis sich dem Sieger unterordnen will.

Episoden aus dem alten Rom in das heutige amerikanische Gangstermilieu zu transponieren, das ist auf den ersten Blick nicht sonderlich neu. (In La coronazione di Poppea gehört es beinahe zum Standardansatz). Originell wird diese Transponierung indes, wenn sie sich nicht mit der Aktualisierung der Grundstruktur begnügt, sondern die so gewonne aktualisierte Version in ein anderes Medium versetzt, im konkreten Fall in die fiktive Welt der Gangsterfilme und der amerikanischen Fernsehkrimis, wie zum Beispiel der Fargo-Serie. Nicht genug damit. Angereichert wird dieses Klischee Material noch mit Verweisen auf das Hitchcock Ambiente, auf die Mode der Horrorfilme und auf den Totenkult der Gothics oder gar auf Graf von Krolock?

Ein bißchen viel, too much für den traditionellen Opernbesucher, der sich auf eine opera seria eingestellt hatte und der sich mit abgegriffenen Materialien aus der populären Kinowelt und der Subkultur konfrontiert sieht.

Die Regie verzichtet auf den gängigen Kunstgriff, Kameramänner auf die Bühne zu stellen. Sie zeigt kein work in progress, zeigt nicht, wie eine Oper zum Film wird, sie präsentiert uns den fertigen Film. Und damit auch nicht der geringste Zweifel aufkommt, dass wir gleich einen Film live und nicht etwa eine konventionelle Oper sehen werden, flimmern zur Ouvertüre Film – und Video-Ausschnitte der unterschiedlichsten Art über die Leinwad – Pardon: über den Vorhang.

In Kratzers Inszenierung von Lucio Silla wird die Szene zur Fimkulisse und gleich in den ersten Szenen zur Horrorfilmkulisse. Der Gangserboss Sulla hat sich seinen Bungalow auf einen aufgelassen Friedhof gebaut, auf dem noch ein paar vereinzelte Grabsteine herum liegen. Ein hoher Zaun und frei herum laufende Wachhunde sollen das Anwesen schützen. Doch ringsum lauern Tod und Verrat. Der ganz im schwarzen Outfit auftretende Chef der Bodyguards verhandelt schon mit dem aus dem Exil zurückgekehrten Oppositionellen, der wohl zum Clan des gegnerischen Syndikats gehört und der mit der Tochter des verstorbenen Clanchefs liiert ist. Vergeblich wird Sulla um sie werben. Gegen das gegen ihn gerichtete Komplott hat der Diktator keine Chance. Sein engster Vertrauter, ein Untoter, ein ’schnöder Revenant‘ aus dem Totenreich, ist ihm überdies kaum eine Hilfe. Im Vorgarten des Bungalow, auf dem Friedhof, wo sich Giunia mit ihrem Geliebten, den sie zunächst für tot hält, trifft, bedrängen sie die Untoten, die im Krieg der Gangster Ermordeten.

An Horroreinstellungen herrscht kein Mangel. Und wie es sich für Krimiserien und Gangsterfilme gehört, fehlt es auch nicht an Sex- und Gewaltszenen. Gangsterboss Sulla scheut nicht vor Zwang und Gewalt zurück, wenn er sich die Tochter seines Todfeindes gefügig machen will , spielt den Sadisten, wenn er nicht aufhören kann, auf seinen zahlreichen Bildschirmen im Nachhinein seine eignen Gewaltausbrüche und das Leiden der geliebten Feindin zu genießen.

Und in diesem Sinne geht es über drei Stunden bis zum halben Happy End. Das Liebespaar kriegt sich nach all den Quälereien doch noch – ganz wie es die Filmklischees wollen . Und für den Gangster nimmt es ein schlimmes Ende: die Polizei stürmt sein scheinbar so sicheres Haus und nimmt ihn fest -ganz wie es die Klischees wollen.

Ja, ehe wir es vergessen. Der Soundtrack zu dieser gerade gesehenen cinematographischen Komposition stammt vom jungen Mozart, der sicherlich seinen Spaß an Kratzers Travestie seiner opera seria gehabt hätte. Und ehe ich es vergesse: Primadonna und Primo uomo in den Personen der

Lenneke Ruiten und der Anna Bonitatibus waren brillant.

Wir besuchten die Aufführung am 9. November 2017. Die Premiere war am 29. Oktober 2017.