Ich bin nicht unbedingt ein Büchner Fan – und das war ich schon nicht, als ich noch Germanistik studierte, zu einer Zeit, als uns das Leid und der Untergang eines geschundenen Proleten als das Non plus Ultra der Literatur des 19. Jahrhunderts verkauft wurde. Ich mag diese ‚Ästhetik des Häßlichen‘, an der sich einst die müden Literaten jener Zeit erfreuten, nicht sonderlich. Ein Stück, in dem einst wie heute ein bürgerliches Publikum, wenngleich ihm in den Figuren des Hauptmanns und des Doktors seine eigenen Karikaturen vorgeführt werden, an der Unterschichtenfigur des armen Wozzek den ‚Exotismus der Nähe‘ gefahrlos besichtigen kann.
Ich bin auch kein Freund der Alban Berg Musik. Ich finde sie in ihrer Konstruiertheit ziemlich langweilig. Dass die Musikhistoriker das ganz anders sehen, das ist mir nicht unbekannt.
Zum Düsseldorfer Wozzeck bin ich gegangen, weil ich ein Stefan Herheim Fan bin, weil ich seine Neudeutungen der Stücke beeindruckend finde, weil mich sein so phantasiereiches Theater fasziniert. Sein Parsifal in Bayreuth, seine Rusalka in Graz, sein Rosenkavalier in Stuttgart, sein Xerxes in Berlin, um nur ein paar der Herheim Inszenierungen zu nennen, die wir im Laufe der letzten Jahre gesehen haben, das ist einfach brillantes Theater, Musiktheater der ersten Kategorie.
Und dies gilt auch für seinen Düsseldorfer Wozzeck, für eine scheinbar so einfache und doch ungewöhnliche Grundkonzeption. Wozzeck, den der Justizapparat zum Tode verurteilt hat, liegt schon auf der Todespritsche, die Gaffer stehen ringsum, und er, im blutroten Dress der Guantamano Häftlinge, erhebt sich im Todeskampf noch einmal und erlebt noch einmal im Rückblick, was ihm widerfahren ist: die Experimente, die ein sadistischer Mediziner mit ihm durchgeführt hat, die Schikanen, die er von einem unsicheren und machtgeilen Militär erlitten hat. Noch einmal erfährt er, wie ein sexbesessener Karnevalsprinz ( bei Büchner der Tambourmajor) ihn immerfort demütigt, wie die Umstehenden, in Maske und Kostüm eine gewalttätge Polizeikohorte, ihn fertig machen und wie selbst im Himmel für ihn kein friedlicher Platz bereitet ist: der Doktor und der Hauptmann als neue Engel erwarten ihn dort schon und werden ihn weiter quälen und malträtieren.
Keine Frage, dass all dies grandios in Szene gesetzt wird, dass mit Bo Skovus in der Titelrolle und Camilla Nylund als Marie, um nur die beiden Protagonisten zu nennen, exzellente Sängerschauspieler den Erfolg des Abends garantieren.
Auch wenn man Büchner und Berg nicht unbedingt mag, erlebt man bei dieser so faszinierenden Regie und bei dieser so brillanten Besetzung einen großen Opernabend. Die Deutsche Oper am Rhein ist auf dem besten Wege, sich wieder in die erste Reihe der Musiktheater zu spielen.
Wir besuchten die Premiere am 20. Oktober 2017.