Schon wieder eine Uraufführung? In Karlsruhe hatten wir mit Wahnfried gerade das große Wagner-Panoptikum gesehen. Und jetzt in Paris das Balzac-Panoptikum? Nein, in Paris da gibt’s kein Panoptikum. Dort in Karlsruhe war es eine Posse, die flott und unterhaltsam in Szene gesetzt wurde. Hier in Paris gibt es ein Mélodrame, das spektakulär in Szene gesetzt wird.
Ein Mélodrame, das ganz im Sinne Balzacs von einer scheinbaren ‚Wirklichkeit‘ ausgeht – hier ist es die Zeit der großen Finanzspekulationen im Frankreich der Dreißiger- und Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts – und das sich in eine Phantasmagorie hinein steigert, in der Monomanen des Geldes, der Macht und der amourösen Gier ihre Gelüste zu befriedigen suchen.
Der ehrgeizige, hoch begabte und von den Frauen umschwärmte Lucien de Rubempré, der trotz all seiner Vorzüge gescheitert ist, wird von einem genialischen Kriminellen, dem Abbé Carlos Herrera alias Trompe-La- Mort ,vor dem Selbstmord bewahrt und zu seinem Protégé erhoben. Lucien steigt in der Gesellschaft auf, wird ‚Objekt der Begierde‘ hocharistokratischer Damen, verkauft auf Druck Herreras seine Geliebte an einen schwerreichen greisen Banker, scheitert ein weiteres Mal, erhängt sich. Sein Mentor, der die korrumpierenden Liebesbriefe, die Damen der hohen Gesellschaft an Lucien gerichtet hatten, aufbewahrt hat, droht, diese Briefe als Erpressungsmaterial zu nutzen – und wird zum Chef der Pariser Polizei ernannt.
Für diese düstere, melodramatische Phantasmagorie schaffen Theatermacher Guy Cassiers und sein Produktionsteam eine virtuelle Bühnenwelt : eine Welt aus bunten Hologrammen. Im Stil und mit einer Technik, die sie schon vor einigen Jahren bei ihrem Berliner Ring erprobt hatte, zaubert die Regie mit ihren Hologrammen und Videos Treppenhaus, Foyers und Katakomben des Palais Garnier herbei und läßt die Akteure – alle im Outfit der Lous-Philppe-Epoche- sich in dieser virtuellen Welt bewegen. Eine Welt, in der die Grenzen zwischen ‚Realem‘, Phantastischem, Albtraumartigem sich auflösen und alles ineinander übergeht. Eine Welt, die den Zuschauer gleichsam in Trance versetzt.
Und die Musik? Sie tut das Ihrige, um diesen Trancezustand noch zu verstärken. Doch verzichten wir lieber, um die Musik zu beschreiben, auf alles feuilletonistische Gerede. Sagen wir einfach : sie hat uns gefallen und zitieren wir die Selbstaussagen des Komponisten: “ La narration se bâtit à travers des flux coexitants: celui de la musique pure, et ceux de la musique qui entre en rapport avec la parole ou avec l’action. Dans cette palette énorme qui va du silence au bruit, en comprenant la dissonance, la consonance, le chant, la densité presque organique de la musique, les contrastes prennent place….“ (zitiert nach dem Programmheft s. p.).
Ein großer Opernabend im Palais Garnier. Wir sahen die Aufführung am 25. März 2017, die dritte Vorstellung seit der Premiere am 16. März 2017.