Vierzig Jahre gibt es sie nun schon, die Karlsruher Händel Festspiele. Alljährlich im Februar feiert man dort – zu zivilen Preisen – mit Opernaufführungen, Konzerten und Symposien Händel, und wie bei jedem Festival trifft man dort auf herausragende Aufführungen und hin und wieder auf Flops. In diesem Jahr haben wir als Neuinszenierung Semele und als Wiederaufnahme vom vergangenen Jahr Arminio gesehen. Beide Aufführungen zählen ohne Einschränkung zu den gelungensten der letzten Jahre.
Zu Arminio, einer Opernrarität vom Jahre 1737, bei der jetzt in Karlsruhe Max Emanuel Cencic in Personalunion Regie führt und die Titelrolle singt, haben wir uns im vergangenen Jahr ein paar Eindrücke notiert, die wir nur ein wenig ergänzen wollen.
Arminio ist eine Oper mit einem ganzen Reigen wunderschöner Arien, mit denen nicht nur der Protagonist, sondern auch ‚des Helden Weib‘(in der Person der Sopranistin Lauren Snouffer) und der Secondo Uomo, Sigismondo, (in der Person der Mezzosopranistin Aleksandra Kubas-Kruk) zu brillieren wissen. Wie zu erwarten, war deren berühmte Arie „Quella fiamma“, die sie im Finale des zweiten Akts gleichsam im Wettstreit mit der Solo Oboe vorträgt, einer der Höhepunkte der Aufführung.
Gegenüber der Brillanz der Sänger wirkt die Inszenierung etwas steif und schwerfällig. Cencic verlegt das Geschehen aus der Römerzeit in die Zeit der Französischen Revolution, macht aus dem Germanen Arminius den Bourbonenkönig, der vor den Truppen der Revolution (oder sind es die Soldaten Napoleons?) fliehen muss, von seinem Schwiegervater, einem Intriganten und ‚Kollaborateur‘, verraten wird, der gerade noch der Guillotine entkommt und als Sieger die restaurative Herrschaft der Bourbonen wieder errichtet.
Eine Konzeption, die ein bisschen hakt und nicht ganz aufgehen will, wenn aus dem Freiheitskämpfer Arminio im Finale ein reaktionärer Bourbone wird. Aber warum nicht. König Arminio wäre ja nicht der erste sogenannte Freiheitskämpfer, der zum Tyrannen wird. Wie dem auch sei. Ein schönes Kostümfest konnten wir Zuschauer alle Male bewundern. Und überdies mischen sich in der Karlsruher Inszenierung wie bei einem romantischen Drama aus jener Zeit Tragisches und Komisches. Im dritten Akt müssen die Damen, die den femininen Sigismondo dazu drängen, den Helden aus dem Gefängnis zu befreien, sich erst einmal kräftig Mut antrinken. Sigismondo, den sein Vater, der Kollaborateur, bestrafen will, fällt vor Schreck in Ohnmacht. Und seine Geliebte tritt den bösen Kollaborateur heftig ins Gemächte. Doch keine Angst. Da naht schon der siegreiche, elegante Arminio in der Staatsrobe und mit ihm das lieto fine. Nur den bösen Verräter trifft es hat. Sein Kopf fällt unter der Guillotine – und aus dem Graben tönt es sanft und traurig in Moll.
Wir sahen die Aufführung am 26. Februar 2017. Die Premiere war am 13. Februar 2016.
Semele, ursprünglich als Oratorium mit paganem Stoff konzipiert, also ein Widerspruch in sich, wird heute gern als Operette avant la lettre in Szene gesetzt – so haben wir das Stück vor Jahren in Zürich und in Essen gesehen. In Karlsruhe will man sich nicht auf eine Offenbachiade einlassen und macht statt dessen aus Händels Oratorium eine amerikanische ‚Komödie für Musik‘, ein Spiel um die Mächtigen und deren Gespielinnen, frei nach der Yellow Press Story: Monica and the President. Eine aktualisierende Variante des Semele Mythos, der Erzählung von Jupiters Abenteuer mit der schönen Semele und deren traurigem Ende. Die Mächtigen haben halt ihre Mätressen, und diese werden von ihnen umsorgt, so lange sie Mätressen bleiben. Wenn sie mehr wollen, werden sie entsorgt – auf unterschiedliche Art.
Ort des Geschehens bei der Karlsruher Semele ist eine Mischung aus Pantheon und Oval Office im Weißen Haus. Ein Ort und eine Personenkonstellation: der Präsident, die Assistentin, die machtbewusste Ehefrau des Präsidenten, mit anderen Worten: eine Dreiecksgeschichte und ein Stoff, aus dem die Komödien sind. Eine Komödie allerdings, die für die Assistentin (sprich: die Gespielin) übel ausgeht – ganz wie es die Zwänge des Mythos wollen. Wie die aufmüpfige Semele so wird auch ihre amerikanische Wiedergängerin, als sie Unmögliches verlangt, entsorgt. Nicht unter den Blitzen Jupiters, sondern im Blitzgewitter einer enthemmten Meute von Paparazzi geht sie zugrunde.
Die Variante des Semele-Mythos, wie sie Theatermacher Floris Visser vorschlägt, ermöglicht der Regie, allerlei Klischees aus der Klatschpresse aneinander zu reihen. Da entführt die schnelle Eingreiftruppe der Marine Semele mitten aus ihrer Hochzeit mit dem ungeliebten Marineoffizier, da darf die gestrenge Gattin des Präsidenten (natürlich denken wir alle gleich an Bill und Hillary) sich in Nahkampfuniform auf die Suche nach dem Objekt der Begierde des untreuen Gatten machen und dieses in eine tödliche Falle locken, da ist Regenbogenpresse stets auf der Suche nach neuen Bildern und Intimitäten, da grüßt das ‚hohe Paar‘, der Präsident und die First Lady, huldvoll die Menge. Und während es die Lady (noch) nicht mitkriegt, hat der jugendliche Präsident sich schon eine neue Gespielin auserkoren. Und natürlich mangelt es bei alledem nicht an Verbalerotik und amerikanisch gedämpfter handfester Erotik.
Und ehe wir es vergessen: gesungen und musiziert wurde auch in dieser ‚Komödie für Musik‘. Oder sollen wir sagen: in dieser Hollywood Schnulze? Zwar waren nicht alle Rollen optimal besetzt. Doch zumindest die Hauptrollen waren von Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung der Akteure so besetzt, wie es sich für eine Festspielaufführung gehört: die Rolle des Präsidenten (Pardon, die des Jupiter) mit Ed Lyon, die der Monica (Pardon, die der Semele) mit Jennifer France, die der First Lady (Pardon, die der Juno) mit Katharine Tier. Alle drei brillante Sänger und Schauspieler.
Eine, abgesehen von einigen Durchhängern im ersten Akt, in Musik und Szene gelungene und überdies unterhaltsame Aufführung. Wir sahen die Vorstellung am 25. Februar 2017. Die Premiere war am 17. Februar 2017.