Tanztheater mit „geläufiger Gurgel“. Anne Teresa De Keersmaeker inszeniert und choreographiert Così fan tutte im Palais Garnier

Così fan tutte eignet sich, wie allgemein bekannt, für die unterschiedlichsten Regiekonzeptionen. Eine Buffa, ein „dramma giocoso“, ein „offenes Kunstwerk“. Die einen, die Betroffenen, inszenieren Così gleichsam mit erhobenem Zeigefinger und erteilen ‚Lektionen für junge Liebende‘. Andere, die eher simplen Theatermacher, veranstalten einen Mummenschanz alla turca. Die noch Simpleren nehmen alles ‚realistisch‘ und wollen am liebsten auf eine Tragödie hinaus, lassen im Finale, ohne sich weiter um Musik und Libretto zu scheren, die beiden Paare frustriert auseinander laufen. Die ganz Tragischen treiben Fiordiligi, die Empfindsamere der beiden Damen, in den Selbstmord. Wieder andere setzen auf Metatheater und machen aus der Buffa Theater auf dem Theater, in dem die scheinbar so betrogenen Damen von Anfang an beim Experiment mit  der gespielten Liebe mitmachen und ebenso wie die Herren letztlich gegen sich selber spielen.

Die Möglichkeiten des ‚Regietheaters‘ sind anscheinend unbegrenzt. Oder vielleicht doch nicht? Nach der Così fan tutte in Paris, bei der die Regie die Gesangssolisten praktisch zu hilflos herum stehenden Statisten gemacht hat und der Tanzgruppe und deren Solisten – ganz im Wortverstande – freie Bahn auf einer gänzlich von Dekor und Requisiten freien Fläche gegeben hat, habe ich doch so meine Zweifel, ob wirklich alles geht und ob wir im Palais Garnier nicht  einfach Zeugen  einer gänzlich abwegigen Regiekonzeption geworden sind.

Così fan tutte ist nun mal  keine Opéra-Ballet, sondern eine Buffa, in der unterschiedliche Liebesdiskurse durchgespielt und in Gesang und Orchesterklang transponiert werden. Wie will ein Tanztheater, dem in seinen Bewegungsabläufen geradezu jeder Anflug von Erotik abhanden gekommen ist, die erotischen Mechanismen, die in der Così evoziert werden, adäquat umsetzten? Muss es da nicht von vornherein scheitern?

Der Gefahr des Scheiterns war sich Madame De Keersmaeker wohl von Anfang an bewusst. So gibt sie denn, statt ähnlich wie bei einer konzertanten Opernaufführung die Sänger beiseite oder an die Rampe zu setzen, jedem Sänger und jeder Sängerin einen Tänzer bzw. eine Tänzerin als Double bei. So haben wir denn statt fünf zehn Solisten auf der Szene. Manchmal stehen Double und Person zusammen, manchmal nicht. Manchmal macht das Double Tanzbewegungen, manchmal nicht. Manchmal übersetzen Tänzer bzw. Tänzerinnen die großen Arien in Bewegung. Manchmal lassen sie  die Gesangssolisten ganz allein an der Rampe stehen.  Manchmal, so zu Beginn, bilden sie alle einen Kreis, und Tänzer und Gesangssolisten machen gemeinsam rhythmische Körperbewegungen, wobei letztere sich naturgemäß etwas linkisch anstellen. Gruppengymnastik im Fitnessstudie. Im Finale erster Akt rennen sie dann alle wild durcheinander. Das war‘s  dann auch – mehr oder weniger.

Doch seien wir nicht zu kritisch. Zumal es, abgesehen von einigen Buh Schreiern, dem Publikum wohl gefallen hat. Es wurde ja auch niemand sonderlich gefordert. Ich frage mich indes, ob man wirklich in einem großen Haus so konzeptionslos, so wenig „von des Gedankens Blässe angekränkelt“ an eine komplexe Buffa heran gehen sollte. Eine so unentschlossene und halbherzige Transponierung einer Mozart Oper in Tanztheater  überzeugt nicht – oder allenfalls die Anhänger des modernen Tanztheaters. Für die Freunde des Musiktheaters war dieses Experiment nichts anderes als ein Flop.

Trösten wir uns damit, dass durchweg brillant gesungen und musiziert wurde – ganz wie es dem Niveau der  Opéra National entspricht. Doch mit Verlaub gesagt: von einer Così fan tutte in einem renommierten Haus erwartet man ein bisschen mehr.

Wir sahen die Vorstellung am 13. Februar 2017, die siebte Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 26. Januar 2017.