Das Feuilleton ist begeistert, bejubelt Maestro Barenboim und ist von Harry Kupfers Inszenierung höchst angetan. Ist dieser Berlin Fidelio wirklich ein Ereignis? Man sollte auf die professionellen Kritiken nicht allzu viel geben – eine Erfahrung, die wir schon viele Male gemacht haben und die sich auch jetzt in Berlin wieder bestätigt.
Der Berliner Fidelio ist mitnichten ein Ereignis – vielleicht mit Ausnahme des Musikparts und dies auch nur teilweise. Diese langsame und getragene Ouvertüre, wie sie Maestro Barenboim mit der Staatskapelle zelebriert, ist schon sehr ungewöhnlich. In dieser Art glaubt man sie noch nie zuvor gehört zu haben: stimmungsvoll, ergreifend, Introduktion für die Kanonisierung Beethovens im Petersdom. Leider geht es so stimmungsvoll und heilig nicht weiter. Im Gegenteil. Das Finale ist einfach nur ärgerlich. Von dem Schreigesang, der von der Rampe dröhnt, den der Maestro seltsamerweise nicht dämpfen will, dröhnen einem die Ohren. Oder wollte Barenboim ( in edler Eintracht mit Theatermacher und Ausstatter) uns einbläuen, dass Fidelio nunmal keine Oper sei, sondern ein Oratorium der Freiheit, das eigentlich im großen Saal des Wiener Musikvereins aufgeführt werden sollte: zum Finale, wie schon zu Beginn, fällt ein riesiger Prospekt herab, der den Wiener Festsaal zeigt.
Aber wir sind nunmal – so ärgerlich das für die Regie auch sein mag – in einem Berliner Opernhaus, und da spielen wir zumindest ein bisschen Oper – und brechen deren Schemata auf. Und so spielen wir denn Oper, Opernprobe, Stellprobe, Oratorium und Proben zum Oratorium „gleichzeitig… Und zwar so , dass die ganze Vorstellung deswegen auch nicht einen Moment länger dauert“. Kein Problem für einen Ariadne erfahrenen Theatermann. Fangen wir, so mag er gedacht haben, mit der Spieloper an, lassen Marzelline im Hausfrauen Look mit einem Vogelkäfig spielen und schön singen. Bei den folgenden Ensembleszenen gehen wir bruchlos zur Opernprobe über, postieren die Sänger um einen Flügel herum und lassen sie scheinbar aus Notenblättern singen. Beim Auftritt des Don Pizarro machen wir auf große Oper und würzen diese mit konventionellen Nazi Klischees : vom Outfit her ist der Gouverneur ein Schreibtischtäter. Begleitet wird er selbstverständlich von schwarz Uniformierten. Im Finale erster Akt sind wir beim Oratorium, nein besser: bei der Probe zu einem Oratorium. Und damit es auch jeder im Publikum merkt, werfen die Herren vom Gefangenenchor ihre Jacken von sich und präsentieren sich im Alltagslook, während die Solisten mit den Notenblättern in der Hand sich in Reih und Glied an der Rampe aufstellen. In der Gefängnisszene zitieren wir die Verismus Oper und nutzen die üblichen Requisiten: Brechstange, Dolch, Pistole, Kette usw., usw.
Verfremdung, ständiger Wechsel der Gattungsformen, didaktischer Zeigefinger, Brechung und Zerstörung jeglicher Illusion. Der Brecht Schaden, den Theatermacher Kupfer einstens erlitten hat, heilet nimmer.
Ein Glück für diesen zwiespältigen Opernabend, dass die Rolle der Leonore mit Camilla Nylund höchst brillant besetzt war. Von Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung her eine Ausnahmekünstlerin.
Und das Publikum? Feiert die Sänger, und der eine oder andere im Publikum erlaubt sich ein Buhen. Gegen wen? Doch nicht etwa gegen die Kultfigur der Berliner Musikszene? Oder doch ?
Wir sahen die Aufführung am 25. Oktober 2016, die sechste Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 3. Oktober 2016.