Mit alter Musik kann man schon mal verdammt alt aussehen – eine Sichtweise, die uns die diesjährige Opernpremiere der „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ wohl vermitteln wollte.
Kann Händels Musik wirklich so langweilig und schwunglos sein, so eintönig und öd klingen, so lustlos und verschlafen dargeboten werden wie jetzt in Innsbruck? In Innsbruck gelingt dieses Vorhaben. Dort haben uns ein berühmter Dirigent, ein sehr bekanntes Orchester und ein mittelmäßiges Ensemble Händel so verleidet, dass wir nach der Pause die Flucht ergriffen haben. Diese so dürftige Aufführung ist besonders ärgerlich, weil es in Innsbruck ja nicht an Kompetenz, Begeisterungsfähigkeit und Phantasie mangelt. Wir haben in den letzten Jahren bei den Festwochen höchst gelungene Aufführungen gesehen: La Clemenza di Tito, Acis and Galatea, Don Chiscotte in Sierra Morena, um nur ein paar beliebige Beispiele zu nennen. Doch in diesem Jahr, um es ganz simpel zu sagen, ist wohl die Luft raus. Da will man sich wohl auf den alten Lorbeeren ausruhen.
Und die Regie, statt gegenzusteuern, hat zu diesem Eindruck der Öde und Lustlosigkeit das Ihrige noch dazu getan. Die Innsbrucker Theatermacher leiden am Leid der Prinzessinnen – und Prinzessin Almira steht da stellvertretend für all die Prinzessinnen und Königinnen, die, kaum hat man ihnen die Staatsrobe übergestülpt, zu Kleiderständern werden und all ihre so schönen Passionen unterdrücken müssen. So ergeht es der Rokoko Prinzessin (laut Programmheft Marie Antoinette) in der ersten Szene und der Renaissance Königin Elisabeth in der Schlussszene des ersten Akts. Und selbstverständlich darf in diesem Reigen der Unglücklichen nicht die arme Diana fehlen. Sie agiert in den mittleren Szenen. Unsere Prinzessin Almira von Kastilien hat es immerhin besser als ihre Standesgenossinnen. Sie kriegt nicht den Kopf abgeschlagen, sie schlägt ihn auch nicht einer Rivalin ab. Sie kommt auch nicht frühzeitig zu Tode. Sie kriegt wohl (falls die Regie dem Libretto folgt) ihren Sekretär Fernando, einen ungelenken bärbeißigen Bariton mit dem Charme eines …, (nun wir wollen keiner Berufsgruppe zu nahe treten) zum Gemahl – und da kann sie einem wiederum nur leidtun.
Wie schade, dass die Regie bei ihrem Mit-Leiden mit den armen Prinzessinnen so ganz verdrängt hat, dass Händels erste Oper keine opera seria , sondern eine Operette avant la lettre ist und dass man sie diesem Genre entsprechend inszenieren müsste. Immerhin müssen unsere Innsbrucker Theatermacher etwas von diesem Operetten-Subtext geahnt haben, wenn sie ein als Amor verkleidetes hübsches Mädchen nebst zwei Amoretten wie Kobolde neckisch durch die Szene geistern lassen. Ja, wir erinnern uns: „Amor vincit omnia[…]“ – zumindest in der Operette.
Wir haben vor zwei Monaten bei den Händel Festspielen in Halle Almira gesehen – in einer Inszenierung, die ich als nicht gelungen abgetan habe. Heute muss ich dem Hallenser Produktionsteam Abbitte tun. Im Vergleich zu dem, was jetzt in Innsbruck geboten wurde, waren in Halle Regiekonzeption, Szene und Musik geradezu grandios. In Halle wusste man immerhin, wie eine Operette funktioniert und hat das Publikum entsprechend unterhalten. In Innsbruck hat man Händel szenisch und musikalisch zum Schlafmittel gemacht.
Aber vielleicht war nach der Pause alles anders? Dann hätte ich voreilig vielleicht das Beste versäumt? Vielleicht? Hoffen wir das Beste für das Innsbrucker Festival. Es kann nur besser werden. Schlechter wohl kaum.
Wir sahen die Premiere am 12. August 2013.
Die „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ sind dieses Jahr wohl als Festival der scharfen Kontraste angelegt. Auf einen Flop folgt gleich ein Highlight. Es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass ein Ensemble der alten Musik, das wenige Tage zuvor sich in edler Langeweile übte, jetzt beim Solistenkonzert wie ausgewechselt auftritt, mit grandiosen Solisten brilliert, temperamentvoll und voller Schwung und ansteckender Begeisterung sein Publikum im Spanischen Saal des Schloss Ambras mit Händel, Vivaldi und Leonardo Vinci geradezu verzaubert.
Keine Frage, dass der Countertenor David Hansen, der nicht nur Händel Ohrwürmer wie die Arie des Giulio Cesare „Sei in fiorito“ und die des Ariodante aus dem letzten Akt „Doppo notte“ vortrug, sondern auch (zumindest mir) unbekannte Arien von Leonardo Vinci gestaltete, erheblichen Anteil an dem so gelungenen Kontrastprogramm hatte. David Hansen, den wir zum ersten Mal live erlebten: eine wunderschöne Stimme, die mühelos durch die Register und Koloraturen eilt und im Piano so sanft und einfühlsam klingt. Doch lassen wir die Feuilleton Lyrik. Sagen wir einfach: es war ein großer Abend. Ein Fest der Musik des Settecento.
Wir besuchten das Konzert am 19. 8. 2014.