Alles ist doch nur Theater – wunderschönes Theater. Beim Genfer Ring zeigt das Münchner Theatermacher Duo noch einmal seine Künste. Und ein höchst brillantes Ensemble singt und agiert.

So viele Jahre, nein so viele Jahrzehnte, dominierten sie die Szene –  in den Kammerspielen und im  Residenztheater und nicht zuletzt auch in der Staatsoper. Und noch immer, wenngleich inzwischen abgedankte Herrscher wie Wotan und Alberich, verfügen sie über die Macht der Bilder, greifen mit leichter Hand  in ihre Theaterkisten, schaffen eine Welt der Illusionen und der Desillusionen, beherrschen noch immer souverän ihr Handwerk.

So zaubert das Duo Dieter Dorn und  Jürgen  Rose, ohne gleich neue Deutungen anbieten zu wollen, ohne ideologische Ansprüche, ohne  dem Zuschauer Welterklärungsmodelle  aufzudrängen, ein schön anzusehendes Spektakel auf die Bühne des Genfer Grand Théâtre, lässt einfach Theater spielen und steigert dieses Theater zum Theater auf dem Theater. Ein, wenn man so will, Metatheater, in dem ein scheinbar souveräner Gott Wotan und schließlich in der Götterdämmerung ein finsterer Hagen die Regisseure sind, Theatermacher und Hauptdarsteller zugleich. Diese Grundkonzeption wird von Anfang an  signalisiert und dem Zuschauer immer wieder neu vermittelt. Im Rheingold treten die Götter aus einer Art Zelt, besser: aus einem Marionettentheater heraus und tragen bei ihrem ersten Auftritt noch dazu Masken. Ein doppeltes Signal, wie es überdeutlicher nicht sein kann. Die Götter sind Theaterfiguren. Marionetten und Schauspieler. Jeder Verweis auf eine wie auch immer geartete ‚Wirklichkeit‘ ist abwegig. Wir spielen Theater und nichts anderes. Zu Beginn der Walküre und des Siegfried mimt Wotan den Theatermacher, der die Kulissen arrangiert, und zum Beginn des Gibichungen  Akts sitzen Gutrune und Gunther auf einer leeren Bühne auf der Bühne. Spielmacher  hockt  Hagen am Rande, begutachtet und organisiert das Geschehen. Auf dieser Bühne wird Brünnhilde ihren großen Wut- und Racheausbruch ‚spielen‘, und ein am Boden zerstörter Gunther wird dort einen Ohnmachtsanfall ‚mimen‘.  Alles ist doch nur Theater. Der Ring des Nibelungen ‚un gran teatro del mundo‘. Nicht genug damit. Alle Figuren (oder zumindest die meisten) verweisen – mal deutlich, mal weniger deutlich, auf andere Theaterfiguren: Wotan in seinem scheinbaren Glanz auf Prospero und in seiner Schwäche auf King Lear, Alberich ist ein Brecht Prolet, Fricka erinnert an die sophistische Portia, die verhuschte Freia in ihrem Blumenkleidchen und den Kränzen im Haar ist eine Ophelia, Froh mit dem Lorbeerkranz auf dem Kopf verweist auf Tasso, Sieglinde ist eine Mischung aus  Gretchen und Ophelia, Loge und Hagen könnten auch gleich als Mephisto auftreten, Brünnhilde und Siegfried könnten auch Kleist Figuren sein: Penthesilea und Achilles usw. usw.

Zu Dieter Dorns Metatheater steuert Jürgen Rose die märchenhaften Kostüme und die (manchmal leicht ironisch vezerrten) Bilder bei. Da klettern die Rheintöchter aus aufeinander getürmten Höhlen im Riff, da rollen die Nornen schon im Rheingold ihr Knäuel mit goldenen Seilen durch die Szene, da fahren die Götter im Ballon gen Walhalla (Peterchens Mondfahrt lässt grüßen), da wallen die roten Vorhänge auf Brünnhildes Felsen, da gibt es Marionettenspieler, die das Pferdchen Grane in Bewegung halten und im Galopp als Rosse der Walküren durch die Szene eilen. Und noch vieles andere gibt es zu bestaunen. Mit anderen Worten: beim Genfer Ring haben zwei große Theatermacher noch einmal so richtig aufgedreht, hatten, wie der Haushofmeister in der Ariadne auf Naxos sagen würde, die Ehre, „ihre Kunstfertigkeiten zu produzieren“. Und das haben sie mit großem Geschick und zum Vergnügen des Publikums getan. Ja, wenn man das so mag. Dieses Theater aus der Welt von Gestern.

Und die Musik? Ein etwas sonderbarer Wagner, so hatte ich es mir nach dem Rheingold und nach dem ersten Akt der Walküre notiert, ist da in Genf zu hören. Ein Wagner, dem, so schien es mir, Maestro  Metzmacher jegliche Erotik und jede Spur von Rausch ausgetrieben hat. Ein Wagner der sanften Töne und der Kammermusik.  So leise und so verhalten habe ich die Siegmund-Sieglinde Szenen wohl noch nie gehört, und man ertappte sich bei dem Gedanken, dass das glücklich-unglückliche Paar zwar von der Liebe als Passion singt, aber wohl noch nie etwas davon gehört haben kann. „Wagner châtré“ flüsterte der schnaubende und schwitzende Herr mittleren Alters hinter mir seinem Begleiter zu. Nun, so schlimm war es nicht. Und im  Siegfried und in der Götterdämmerung ging es dann auch etwas temperamentvoller zu, so dass, wer nach der Wagnerdroge lechzte,  letztlich doch auf seine Kosten kam. Und die Fetischisten des Wagnergesangs? Bei dem grandiosen Ensemble, das in Genf sang,  wurden  alle ihre Wünsche erfüllt.

Wir sahen den Ring Zyklus in der Woche vom 13. Bis zum 18. Mai 2014.

 

 

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