Keine Schiffe, keine Gespenster, keine Erlösung. Dafür schwarze Romantik und Exotik in der Gründerzeit und – ein Sângerfest. Der Fliegende Holländer an der Oper Zürich

Will man Starbesetzungen erleben, dann ist die Oper Zürich noch immer eine erste Adresse. Bryn Terfel und Anja Kampe in den Hauptrollen, das ist zweifellos mit das Beste vom Besten. Wie Terfel den Holländer gestaltet – vom dramatischen Ausbruch bis hin zum liedhaften Piano – das ist schlichtweg bewundernswert. Wenn dann wie bei Terfel noch diese machtvolle Bühnenpräsenz hinzukommt, dann hört und sieht man einen geradezu idealtypischen Holländer. Und Anja Kampe, die wir schon in München als Senta gehört  haben, ist auch in Zürich eine exzellente Wagnersängerin und herausragende Schauspielerin.

In Zürich spielt man die einaktige Urfassung, also  eine Version ohne die erlösenden Harfenklänge im  Finale, ohne Rettung für den „bleichen Mann“ – So geheimnisvoll  und plötzlich wie er erschienen  ist, so geheimnisvoll und plötzlich entschwindet er auch. Und eine verzweifelte, an ihrer eingebildeten Mission gescheiterte Senta  erschießt sich mit dem Jagdgewehr, das dieser Trottel von Jägersmann bei seinem finalen Liebesgejammer einfach da hat herum liegen lassen. Ein wahrhaft umwerfender Regieeinfall. Auch der unbedarfteste Opernbesucher hat gleich kapiert, dass das herumliegende Schießgewehr irgendwann einfach losgehen wird.

Zürich,  so sagten wir, ist noch immer gut für Startheater. Mit dem Regietheater indes   hat man dort nicht immer Glück. Ein ganz großer Wurf ist wohl auch die Inszenierung des Fliegenden Holländers nicht geworden. Soll man sagen, dass Andreas Homoki, von dem wir einstens so manche Inszenierung gegen den Strich gesehen haben, dass er an seinem neuen Wirkungsort brav und bieder geworden ist? Sein  harmloser Fliegender  Holländer könnte einen  schon auf diesen Gedanken bringen.

Dass unter der alltäglichen Geschäftigkeit das Unbekannte, das Grausame, das Gespenstische drohend lauern kann, dieses Klischee der romantischen Literatur kennt schon der simple Opernbesucher von Hoffmanns Erzählungen her. Theatermacher Homoki macht dieses Klischee zum Ausgangspunkt und Leitmotiv seiner Inszenierung und reichert es mit ein bisschen Exotismus an.  Wagners „norwegischer Seefahrer“ ist zum betagten Reeder geworden, der kräftig in den Afrikahandel des späten 19. Jahrhunderts eingestiegen ist und sich einen Boy aus Afrika mitgebracht hat. Dem entsprechend sind seine Matrosen zu hektischen Kontoristen mutiert,  die wohl in Erinnerung an einstige Gefahren noch immer in Panik geraten, wenn es – im Orchester – gewittert und stürmt.

In diese scheinbar so wohl geordnete Welt bricht mit einem Male eine exotische Figur im schwarzen Mantel, mit Feder geschmücktem Hut ein. Eine Figur aus längst vergangenen Zeiten, die vom Geschäft mit den Kolonien nichts versteht und sich leicht übertölpeln lässt. Dass man in einem solch pseudorealistischen Ambiente im dritten Akt keine Gespenster auftreten lassen kann, das nehmen  wir der Regie gerne ab. Aber Horror muss nun mal sein. So will es eben der alte Wagner, und so will es die schwarze Romantik, und so will es die Kolonialgeschichte. So erleben denn in Zürich die Kontoristen einen ganz besonderen Horror, die Schreckensvision vom Zusammenbruch des Afrikahandels und  vom Aufstand der Eingeborenen. Konkret: die  große Landkarte von Afrika geht in Flammen auf, und der Boy mutiert zum Pfeile schießenden Eingeborenen  im Lendenschurz. Fürwahr eine Karnevalseinlage, eine Groteske, bei der wir im Publikum  nur mühsam das Lachen unterdrücken können. Nach dieser Groteske gibt’s dann noch  als Einlage aus dem Komödienstadl  den auf dem Boden herumrutschenden jammernden Forstbeamten und  als Tragödienszene das Fräulein Senta, das sich erschießt, weil es den Traummann nicht kriegt. Ende. Vorhang, Begeisterung im Publikum.

Wir sahen die Vorstellung am 3. Juli 2013. Die Premiere war am 9. Dezember 2012.