Wer, so fragt man sich leicht irritiert den ganzen Abend über, wer ist nun der Langweiler? Der berühmte kanonisierte Komponist mit seiner so getragenen, feierlichen Musik, der Dirigent, der diese so müd‘ und matt, so gediegen, so ohne Schwung und Elan vortragen lässt, der Theatermacher, der den Iphigenie Mythos so gewaltsam aktualisiert? Der Langeweiler Preis gebührt wohl, so scheint es mir, letzterem für seine kaum stringente und damit nicht überzeugende Variante des Mythos.
Die Regie verlegt die Erzählung vom ersten Opfer des trojanischen Krieges, von Iphigenie, die von ihrem Vater Agamemnon der Göttin Diana geopfert werden soll, auf dass die griechische Flotte gen Troja aufbrechen kann, an den Vorabend des Golfkriegs,macht die Anführer der Griechen zu amerikanischen Offizieren, lässt diese in einem mit hohen, drehbaren Spiegelwänden zugestellten Hauptquartier agieren, projiziert Videos auf die Spiegelwände, die die Akteure und immer wieder junge Soldaten mit der Maschinenpistole in der Hand zeigen, lässt das zum Kriege drängende Volk als faschistische Schwarzhemden oder auch als Antiterroreinheit in schwarzer Kampfmontur auftreten, verwandelt den Seher Kalchas in einen anglikanischen Priester, der vom Rollstuhl aus Kommandos gibt. Eine junge Frau, die immer wieder durch die Szene geistert, ist wohl die Reinkarnation der Göttin Diana, einer stummen Göttin, deren kleinen Gesangpart Iphigenie gleich mit übernimmt. Und damit auch jedermann im Zuschauerraum mitbekommt, dass nicht die Griechen gen Troja, sondern die Amerikaner in den Golfkrieg ziehen, leuchten auf den Spiegelwänden Bilder von Ölraffinerien auf. Und in Agamemnons gläsernem Schreibtisch liegt eine große Bombe. Aber warum soll der Oberbefehlshaber unbedingt vor Kriegsbeginn seine Tochter abschlachten, wenn die Handlung nicht mehr in archaischer Zeit, sondern in unserer Gegenwart angesiedelt wird? Weil auch heute noch die Handelnden ihre Söhne und Töchter aus bloßem Machtstreben heraus in Kriegen opfern und dabei jammern und lamentieren? Wenn das die Konzeption der Inszenierung war, dann hat man uns eine etwas dürftige Variante des Iphigenie Mythos vorgesetzt. Ja und wenn dann noch dazu, anders als man das vom Theater an der Wien gewöhnt ist, nicht alle tragenden Rollen optimal besetzt sind, dann ist ein enttäuschender Abend vorprogrammiert.
Doch seien wir nicht zu streng in unserem Urteil. Auch im Theater an der Wien, das uns so viele Male mit brillanten Aufführungen verwöhnt und begeistert hat, kann nicht immer alles nur glänzen. Am nächsten Abend, da war alles anders. Da haben Joyce Didonato und Il Complesso Barocco mit „Drama Queens“, „königlichen“ Arien aus der Barockzeit, das Publikum mehr als begeistert, mehr als verwöhnt. Wir sahen Iphigénie en Aulide am 10. November, die zweite Aufführung nach der Premiere am 8. November 2012.