Tod in Arkadien – Zurück in den Nachsommer – Lust und Gewalt in Marlenes Cabaret. Ein Monteverdi-Marathon in der Komischen Oper Berlin

Alle drei Monteverdi Opern an einem Tag, von morgens um 11 bis abends um 11, da braucht’s bei Mitwirkenden und Publikum viel Passion und reichlich Kondition. Sagen wir es gleich und ohne alle Umschweife. Das Haus war auch noch am späten Abend  voll besetzt. Von Müdigkeit oder gar Erschöpfung keine Spur, weder im Saal noch auf der Bühne noch im Orchestergraben. Und dies bei einer Inszenierung, die ganze Kohorten von Darstellern auf Bühne und Passarelle agieren liess und bei einer Musik, die sich nicht mit klassischen Monteverdi Klängen begnügt, sondern in der Bearbeitung durch Elena Kats-Cherin ganz gezielt auf eine Aktualisierung Monteverdis hinarbeitet. „Wir schlagen die Brücke zurück von der modernen Popmusik hin zu Monteverdi“, bemerkt hierzu die Komponistin. Und in der Tat klingt die so neu drapierte ehrwürdige Monteverdi Musik manchmal wie der Soundtrack für ein Revuetheater. Barrie Koskys Inszenierung, die mit Ausnahme des Ulisses ganz auf das grosse Spektakel hin angelegt ist, verstärkt noch diese Tendenz zur Revue und  zielt darüber hinaus auf Varianten und neue Deutungsmöglichkeiten der vorgegeben Texte.

Das Arkadien des Sängers und Tänzers Orfeo ist kein idyllischer Ort, kein locus amoenus, sondern eher ein Henri Rousseauu Urwald. Unter die Hirten haben sich Nymphen und Satyrn gemischt, und von Anfang an ist derTod als hölzerne Marionette mit dabei, nicht als Totenkopf oder Grabinschrift  (Et in Arcadia Ego) wie in den Gemälden eines Guercini oder eines Nicolas Poussin, nicht als Mahnung, sondern als ständige Bedrohung. In Arkadien regiert indes – so will es der Mythos Arkadien – nicht primär der Tod, sondern die Liebe und mit dieser verbunden Musik und Gesang. So ist es nur konsequent, dass die Regie Amor zum Spielleiter des Orfeo- Dramas macht, einen Amor, der nicht minder konsequent die Rollen der Musica und der Esperanza gleich mit übernimmt, der im Finale Orfeo vergebens vom Selbstmord bewahren will, ein Amor, den schon in der ersten Szene die Marionette Tod belästigt. Anders ausgedrückt: die spektakuläre Orfeo-Revue, die Barrie Kosky auf die Bühne zaubert, kreist um das uralte, ewige Paar Eros und Thanatos. Und Thanatos hat das letzte Wort: kein Gott Apollo führt  den Sänger Orfeo in  die Sternenwelt – die Regie hat die Rolle des Apollo gestrichen  und sie der Eurydike zugewiesen, die Orfeo im Wahn zu sehen glaubt.  Orfeo ertränkt sich. Ob sein Haupt, wie es eine Variante des Orpheus Mythos will , zur Insel Lesbos  treiben wird. Wer weiss das schon. Die Regie will es auch gar nicht wissen. Amor hat sein Spiel verloren, ein Amor, der nicht an einen Erosknaben, sondern eher an die Figur des Puck aus dem Sommernachtstraum erinnert, der sein Spiel mit den Menschen treibt, dem die Erzählung von Orpheus und Eurydike gleichsam aus dem Ruder läuft, der nach dem Tod der Eurydike der Marionette Tod die Spielleitung überlässt. Und diese Marionette legt sich Orpheus ganz konkret auf die Schultern und bestimmt sein Handeln. Eine in sich schlüssige Variante desMythos und zugleich eine spektakuläre szenische Umsetzung.

Anders als im Orfeo verzichtet die Regie im Ulisse auf alles Spektakuläre und entscheidet sich  für einen Minimalismus, der an die Regiekonzepte eines Christof Loy erinnert. Auf einer rechteckigen, zum Publikum hin leicht geneigten Spielflache, die im Hintergrund und auf beiden Seiten vom Orchester besetzt wird, entwickelt sich das Geschehen ganz aus dem Spiel der Akteure, ohne dass es außer ein paar Stühlen irgendwelcher Kulissen bedarf. Mit anderen Worten: im Ulisse setzt Barrie Kosky ganz auf die Personenregie und und nützt die Spielleidenschaft seiner Sängerschauspieler – und hat Erfolg mit dieser Entscheidung, die zugleich ein Appell an die Imagination der Zuschauer ist, auf dass aus deren Phantasie, mit deren Mitarbeit das Stück entsteht. Was diese am Ende nach all den Verwicklungen sehen, das ist ein melancholisches Paar Ulisse und Penelope, dem man noch nicht einmal einen Nachsommer zutraut. Der Mythos von der Heimkehr des Odysseus, so deutet es die Regie an, bleibt ein Traum, der nur im Desaster enden kann. Beim Kölner Ulisse war man weniger zögerlich und zeigte einen Ulisse, der sich gleich wieder davon machte.

In der Poppea, da sind wir wieder im grossen Spektakel, in einem Cabaret, in dem sich Spielleiter Amor in eine Art Marlene Dietrich Verschnitt oder, wenn man so will, in eine Art Puffmutter verwandelt hat. In diesem Cabaret, in dem sich die Nackten beiderlei Geschlechts ( vor allem die männlichen) tummeln, erlebt das ältliche Paar Nerone und Ottavia wohl eine Art Midlife Crisis. Ein leichtes Spiel für eine nicht mehr so ganz taufrische Poppea, die einen von Sex und Macht berauschten und doch nur spiessigen Nerone unter Druck setzt. Nicht  minder degradiert präsentiert sich der Philosoph Seneca: ein Seneca Opa darf seine matt gewordene Körperlichkeit, seinen “ grotesken Leib“ und seine Phrasen vorführen – und die Regie macht alle Personen zu Popanzen, zu lächerlichen, zu grausam lächerlichen Figuren. Eine Inszenierung, die, so spektakulär sie auch ist, sich im Laufe des Abends in ihren eigenen Gags erschöpft und zu einem etwas seltsamen Finale kommt: die Kohorten, die wir schon aus dem Orfeo kennen, treten zusammen mit Spielleiter Amor noch einmal zu einer Art Bacchanal an, Nerone erschiesst hinterrücks Ottavia, Ottono und Drusilla und versinkt mit Poppea in den Wassern, in denen sich Orfeo ertränkte.  Der Kreis schliesst sich. Der Kreis, in dem Eros und Thanatos regieren. War es das? Vielleicht.

Wie dem auch sei. In der Komischen Oper ist eine Monteverdi Trilogie zu sehen und zu hören, die alle Male die Reise lohnt. Eine Monteverdi Trilogie, die in Szene und Orchesterklang, in Gesang und Spiel Musiktheater der Spitzenklasse bietet.

Wir sahen die Aufführung am 4. November. Die Premiere war am 16. September 2012.