Gutmensch L. in der Bibliothek von Babel und bei den Sektenbrüdern: Lohengrin am Theater Freiburg

Es müssen ja nicht immer gleich  die großen Staatstheater in München, Wien oder Berlin sein. Auch in kleineren Häusern – eine Erfahrung, die wir zuletzt in Frankfurt, in  Karlsruhe, in Lübeck und jetzt in Freiburg im Breisgau  machen konnten, gelingen hervorragende Wagner Aufführungen, werden wie jetzt in Freiburg eigenwillige Inszenierungen vorgestellt. In Freiburg hat Wagners Gralsritter alles Geheimnisvolle, alles Mythische, jegliche Aura verloren. Er ist ein freundlicher, energischer junger Mann von heute, der keiner Knutscherei abgeneigt ist und der den Streit in der Bibliothek zwischen der introvertierten und zu Phantastereien neigenden Assistentin Elsa und einem einflussreichen Bibliotheksreferenten – einen Streit, den der Bibliotheksdirektor (bei Wagner ein gewisser König Heinrich) nicht zu schlichten weiß, recht handgreiflich regelt: er wirft dem Intriganten einfach ein paar  schwere Folianten an den Kopf, und schon geht der ältliche Brillenträger zu Boden. Ein Ergebnis, das bei der etwas altjüngferlichen Assistentin  geradezu zu einer erotischen Explosion führt und die zahlreich anwesenden Studierenden so begeistert, dass sie gleich alle mit Büchern nur so um sich werfen, (sich  damit von der Last der Geschichte und der Literatur befreien?) und den Neuankömmling zum Chef ausgucken. Ein etwas ungewöhnlicher erster Akt, bei dem der Zuschauer überdies im Zweifel bleibt, ob die Bibliotheksbesucher (vielleicht sind es auch Studierende eines Oberseminars für mittelhochdeutsche Literatur?) sich vielleicht nur über Lohengrin Versionen informieren wollen oder vielleicht auch nur Episoden aus der Lohengrin Handlung nachspielen wollen. Eine Prise Metatheater, so erinnert sich die amüsierte Zuschauerin, macht sich immer gut. Der Bibliothekssaal, so glaubt sie im zweiten Akt zu erkennen, ist wohl weniger die Bibliothek von Babel als der Versammlungs- und Gemeinschaftsraum einer Sekte, die den Neuankömmling  als den ersehnten neuen Guru nebst aufgeblühter Gefährtin feiert, dabei auf den Knien herumrutscht und mit den Armen das Flügelschlagen eines Schwans imitiert und von energischen jungen Damen (bei Wagner die Brautjungfern) in Schach gehalten wird. Eine Szene, die nicht der (unfreiwilligen?) Komik entbehrt, zumal  sich  die rutschenden Damen Knieschoner  übergestreift  haben. Und im letzten Akt da haben wir alle begriffen, dass uns im Freiburger Lohengrin die Geschichte vom plötzlichen Erscheinen und plötzlichen Verschwinden eines Guru und dem Unheil, das dieser anrichtet, erzählt wird. Eine durchaus plausible Variante des Mythos.  Kaum ist Guru Lohengrin verschwunden, schlagen sich die Sektierer um die Geschenke, die er Elsa gelassen hat – und entleiben sich. Sehr spektakulär. Doch ein Finale mit kollektivem Selbstmord  habe ich in  schon mal irgendwo gesehen. Wie dem auch sei. In Freiburg ist eine recht beachtliche Lohengrin Inszenierung zu sehen und gesungen und musiziert wird, wie es dem Niveau eines mittelgroßen Hauses entspricht. Wir sahen die Vorstellung am 16. Februar 2012. Die Premiere war am 21. Januar 2011.