Französische Feuilletonromane des 19. Jahrhunderts. Castor et Pollux am Theater an der Wien

Französische Feuilletonromane des 19. Jahrhunderts. Castor et  Pollux am Theater an der Wien

Warum soll man den Mythos von den beiden unzertrennlichen Brüdern statt als ferne antike Variante nicht als Geschichte aus dem ‚bürgerlichen Heldenleben’ oder als ‚Scènes de la vie privée’ oder nicht gleich als Feuilletonroman erzählen? Konfiguration und Fabel legen das doch ohnehin nahe: die seit Kindestagen unzertrennlichen Brüder, die sich füreinander aufopfern, der Vater als unnahbarer Großbürger und Tyrann, die Frau Mama als verhuschtes ängstliches Wesen, die gute Schwester (wahlweise die liebende Braut), die böse Schwester (wahlweise die Familienhexe), das zahlreiche Dienstpersonal, die herrschaftliche Eingangshalle nebst repräsentativer Treppe im Hause eines reichen Herrn, der Konkurrent (wahlweise der verschmähte Liebhaber), der eine feindliche Übernahme versucht und dabei auch vor Mord nicht zurückschreckt. Genug der Materialien für eine „tragédie mise en musique“ oder auch für einen dramatisierten Feuilletonroman mit dem Soundtrack  von Jean-Philippe Rameau. Und jetzt beginnen die Probleme – für die dilettantische Zuhörerin. Es mag ja sein – so will es uns der Dirigent Christophe Rousset in seinem Beitrag für das Programmheft glauben machen -, dass Rameau „einem Bach in nichts nachsteht und aus tausend Gründen ganz gewiss einem Händel überlegen ist“ (p. 40). Es mag ja auch sein, dass Rameaus Orchesterstücke und nicht minder seine Ballettmusik Glanzstücke des Repertoires sind. Doch als Dilettantin erlaube ich mir einfach zu sagen, dass mir Händels Opern all Male besser gefallen als die Opern Rameaus. Die Probe konnte ich gleich am Abend darauf machen, als Alan Curtis mit seinem Complesso Barocco und mit brillanten Sängern am selben Ort und vor denselben Kulissen eine konzertante Aufführung einer Rarität präsentierte: Händels Berenice, Regina d’Egitto vom Jahre 1737. Ja, ich bin nur eine Dilettantin, die nichts von der Sache versteht und die von der französischen Musik des 18. Jahrhunderts erst recht keine Ahnung hat. Aber mit Verlaub gesagt: der italienische Stil sagt mir halt mehr zu als der französische. – Wir sahen die Rameau Vorstellung am 28. Jänner. Die Premiere war am 20. Jänner.