Die Mär von der niederträchtigen femme fatale und dem tölpelhaften Kraftmeier Samson ist halt eine schlimme Geschichte. Doch ganz schlimm wird sie, wenn sie jemand in Szene setzt, der weder über eine tragfähige Konzeption noch über die handwerklichen Fähigkeiten verfügt, die man eigentlich von einem Theatermacher erwartet.
In Köln hatte im vergangenen Jahr Tilman Knabe die biblische Erzählung vom Krieg der Israeliten mit den Philistern und von der schönen Dalila, die den einfältigen Muskelprotz der Israeliten erledigt, als aktuelle Variante vom ewigen Hass und von permanenten Gewaltexzessen zwischen verfeindeten Völkern oder Stämmen oder Gruppen neu erzählt. In Köln geschieht dies mit den Mitteln des Films: mit Zitaten aus den Genres des Kriegsfilms und des französischen Gangsterfilms. Und die heikle Schlussszene – ein wieder zu Kräften gekommener Samson reißt den Tempel der Feinde ein – wird erst gar nicht realisiert.
Die größten Gewaltexzesse ereignen sich in der Phantasie, in der perversen Gewaltphantasie, in der von der medialen Gewalt infizierten Phantasie des Zuschauers. Nicht so anspruchsvoll war man in St. Gallen. Dort beim sommerlichen Festspektakel auf der Freilichtbühne vor dem Dom hatte man Samson und Dalila als bunten Bilderbogen aus den Märchen von Tausend und einer Nacht verstanden. Und in Karlsruhe? Da weiß man nicht so recht, was man will. Ein bisschen alttestamentarischer „Krippenspielrealismus“? Ein bisschen Sadismus? Ein bisschen Kastrationsangst des armen Macho? Ein bisschen Traumtheater? Ein bisschen Nazi Perversionen? War es das? Ort der Handlung ist ein Konzentrationslager. Oder vielleicht auch ein Auffanglager für Latinos in Arizona, die von einem machtlüsternen Sheriff drangsaliert werden? Oder vielleicht auch eine Bohrinsel, die zum Konzentrationslager umfunktioniert wurde? Die drei Stahlkonstrukte, die herumstehen, erinnern an Wachttürme oder auch an Bohrtürme. Alte, Frauen und Kinder – letztere dürfen zwischendurch ein bisschen fangen spielen – liegen jammernd am Boden, und ein wohlgenährter langhaariger Samson stachelt zum Aufstand an und erledigt schon mal den schwarz gekleideten Kommandanten. Den SS-Offizier? Eine Aktion, die den Oberkommanten – im Libretto der Oberpriester der Philister – beträchtlich in Rage bringt.
Keine Sorge, liebes Publikum. Gleich kehrt Ruhe ein. Gleich dürfen die matten Krieger träumen. Da kommt auch schon eine Schar weiß gekleideter blonder Mädchen (Priesterinnen der Aphrodite? Schülerinnen eines Mädcheninternats, einer Waldorfschule, die sich alle in weiße Gewänder gehüllt haben?) und kümmert sich um die müden Männer. Samson stört das nicht weiter. Er ist erschöpft von der Treibjagd auf die Feinde. Die Anführerin der Mädchenschar (die Oberpriesterin der Aphroditejüngerinnen?, die Direktorin der Waldorfschule?) – eine blonde Dame in Schwarz – macht dem Helden gewisse Avancen und singt ihm und uns Zuschauern (leider ein wenig hölzern) das berühmte Frühlingslied – einen Hit aus der Oper, den wir alle kennen.
Im zweiten Akt hat sich auch Dalila in Weiß geworfen und räkelt sich mit ihren Mädchen in weißen Tüchern und Schleiern auf der Vorderbühne. Sind wir im Harem oder vielleicht in einer Versammlung von zärtlich miteinander spielenden Lesben? Der sehnsüchtig erwartete Samson, als er denn endlich erscheint, ist von dieser Situation völlig überfordert und steht erstmal nur so herum (der viel beschäftigte Sänger-Regisseur hatte offensichtlich nicht die Muße, sich auch noch mit der Personenregie zu beschäftigen. Sei’s drum). Immerhin kriegt die böse Dalila, die den verführerischen Charme einer frustrierten Hausfrau ausstrahlt und die der Oberkommandant zuvor so richtig heiß gemacht hat, den Trottel von Samson schließlich doch noch herum. Im dritten Akt sind wir dann so richtig im KZ. Eine sadistische Wachmannschaft treibt ihre Spielchen mit dem jammernden Samson und seinen Gefährten. Dalila ist zur Domina mutiert und macht zwischendurch auch mal die Hilfspriesterin für den Oberpriester.
Und zum Finale darf der geschundene Samson an den Türmen wackeln, die aber mitnichten zusammenbrechen, sondern sich nur ein wenig zur Seite neigen. Immerhin ein plausibler Grund dafür, dass die Vielzahl der Choristen und Statisten, nicht zu vergessen die große Schar der Kinder, die alle auf der Bühne versammelt sind, mausetot spielen dürfen und dass das sowieso schon dämmrige Licht ganz ausgeht. Und wenn es dann gleich wieder angeht, dann sind alle im Opernhaus, die auf der Bühne und die im Zuschauerraum, mehr als begeistert. Welch grandioses Spektakel hat uns doch unser Tenor aus Argentinien bereitet. Perdón, muy estimado Senor Cura: Sie sind zweifellos ein sehr guter Sänger. Doch bevor Sie sich das nächste Mal als Theatermacher versuchen, schauen Sie sich doch bitte ein paar Videos von Konwitschny, von Loy und von Guth an. Oder noch besser: nehmen sie ein paar Nachhilfestunden bei diesen Herren.
Wir sahen die Premiere am 15. Oktober 2010.