Von Hunden, Gutmenschen, Gewalttätern, lateinamerikanischer Folklore und allerlei Sonstigem: Carl Heinrich Graun, Montezuma in einer Produktion des Teatro Real
In Madrid, nicht im großen Haus an der Plaza de Isabel II, sondern im kleinen Saal der Teatros del Canal ist eine absolute Rarität zu hören und zu sehen: eine Oper des preußischen Hofkomponisten Graun auf ein Libretto, das der König angeblich selber verfasst haben soll und die im Jahre 1755 an der Hofoper in Berlin uraufgeführt wurde. Zur Musik werden die Musikhistoriker das Nötig gesagt haben. Für den musikalischen Laien klingt Grauns Musik wie ein Pastiche aus Hasse, Vivaldi und Scuola di Napoli. Oder einfacher ausgedrückt: die Dilettantin meint diese schöne und gefällige Musik, besser: Musik in diesem Stil in Opern und Konzerten aus dem Settecento schon viele Male gehört zu haben. Von der Musik wollen wir auch gar nicht sprechen. Das steht uns nicht zu. Sprechen wir nur von der Inszenierung, einem Opernspektakel, das für Madrider Verhältnisse ungewöhnlich war und das doch vom spanischen Publikum kaum goutiert wurde. Man applaudiert höflich und ist offensichtlich froh, dass das Spektakel nach drei Stunden vorbei ist oder man geht auch schon in der Pause. Die Besucherin aus den nördlichen Gefilden, die seit vielen Jahren schon die Freuden und Leiden des deutschen ‚Regietheaters’ miterleben darf, amüsiert sich hingegen durchaus und genießt das Wiedererkennen. All das, was da im Madrider Montezuma in ein aztekisches oder auch in ein mexikanisches Ambiente verpackt wird, hat sie irgendwo und irgendwie schon einmal gesehen: Gewalttätigkeiten und Vergewaltigungen zu sublimer Musik, „edle Wilde“ und machtlüsterne, verräterische Machos, aufopferungsvolle Damen, alberne Folklore Kostüme, Metatheater und Desillusionierung bis zum Überdruss (der ganze dritte Akt ist nach diesem Schema angelegt), aufgesetzte Ideologien, plakative Aktualisierungen und nicht zuletzt Referenzen auf Mythen der spanischen Literatur: da treten Hernán Cortés und sein Begleiter schon mal in Kostüm und Maske als Don Quijote und Sancho Pansa auf, und die edle Gattin des Montezuma, die zum Aufstand gegen die bösen Eroberer aufruft, darf schon mal wie Mariana Pineda die Fahne nähen und bügeln und die Helden beweinen. All diese Materialien werden nicht nur zitiert. Sie werden – und dies macht den Reiz der Inszenierung aus, und dies ist wohl deren Grundkonzeption – sie werden auch mit einem Augenzwinkern hin zum Publikum ironisch verfremdet. Mit anderen Worten: mit kräftigen Griffen in die Klischee Kiste der Theatermacher macht ein hoch motiviertes Produktionsteam zusammen mit durchweg brillanten Sängerschauspielern aus der alten Montezuma Geschichte, die bei Graun nur ein Zwitter aus opera seria und französischer klassischer Tragödie war, eine höchst unterhaltsame Conquista Revue. Ehe ich es vergesse: Star des Abends war natürlich die Boxerhündin Sina. Wie sie da auf dem Laufsteg stand, grimmig schaute, immer zur rechten Zeit bellte und die armen Azteken, die Musiker und das Publikum in den ersten Reihen erschreckte, ja das war schon ein tolles Spektakel – ein weiteres ironisch gebrochenen Klischee aus dem Handbuch für aufstrebende Theatermacher: bring Tiere (und wenn möglich auch Kinder) auf die Bühne, und Du hast die Leute schon auf Deiner Seite. Wir sahen die Aufführung am 18. September 2010.