« Il pleut sur mon coeur comme il pleut sur la ville […] » Salzburger Festspiele 2010

« Il pleut sur mon coeur comme il pleut sur la ville […] »  Salzburger Festspiele 2010

Verlaines Verse kommen mir geradezu reflexartig in den Sinn, wenn ich wie schon so viele Male bei unaufhörlich strömendem Regen nach Salzburg fahre, in eine Stadt komme, die in ihrem Grauschleier aus Nässe und frühherbstlicher Kälte fremd und abweisend wirkt. Nichts von festlicher Stimmung. Tristezza allerorten. Man hastet in den Musentempel,  (vulgo: das Große Festspielhaus), drängelt sich an Garderobe und Bar, erhofft  sich nach den Unbilden der Reise, nach der Ungastlichkeit der Stadt von einer ‚musica celeste’ Trost und Kompensation . Und Mahlers vierte und fünfte Symphonie, die an diesem Abend, am 6. August, das World Orchestra for Peace unter seinem Dirigenten Valery Gergiev zelebriert, ist eine Musik, die  zwar nicht unbedingt die Melancholie vertreibt, sie eher im Gegenteil noch verstärkt, die aber alle Beschwernisse  und Misslichkeiten der Anreise vergessen lässt. Musik ist eben „heilige Kunst“. Ob die Instrumentalisten des World Orchestra for Peace, die einer Vielzahl von Orchestern entstammen, den perfekten homogenen Klang erreichen, darüber mögen sich die Kritikaster unter den Feuilletonredakteuren streiten. Für mich war es ein großer Mahlerabend. Vor allem die mit einer solchen Hingabe gespielten Adagio Partien dürften eine Vielzahl der Zuhörer geradezu ‚verzaubert’ haben – um es mit all dem Kitsch zu sagen, zu dem eine Dilettantin neigt. Dass am nächsten Morgen eine Mozart- Matinee mit Minkowski, der auch vor einem populären Programm keine Scheu hat und der sogar Susannas Rosenarie als Zugabe singen ließ, stürmisch gefeiert wurde, verwundert nicht. Und dass ein Liederabend mit Anja Harteros auch in Salzburg ein Highlight ist, auch das verwundert nicht. Verwunderlich ist allerdings die Ignoranz mancher Konzertbesucher, die gleich in das zweite Lied hineinklatschen mussten oder die die Rosenarie für ein Stück aus dem Don Giovanni hielten. „Allein was tut’s“ – „Er muß nicht alles wissen!“.

Die c-Moll Messe in der Stiftskirche St. Peter gehört für mich seit vielen Jahren zum Traditionsprogramm bei jedem Besuch der Salzburger Festspiele. Diese eigentümliche Mischung aus  barocker Pracht und Sakralität, diese  sinnliche Poesie des Katholischen, die den Kirchenraum bestimmen, diese Verbindung von mystischer Frömmigkeit und profaner Erotik, die Mozarts Messe  auszeichnet, all dies hat mich immer wieder fasziniert. Allein gestern Abend, am 12. August, war von all dem nichts zu spüren. Die Sancta Caecilia und vielleicht auch der Heilige Geist waren wohl in die Ferien gefahren und  hatten Musiker und Sänger uninspiriert zurückgelassen. Und  die heidnischen Musen wagten sich  wohl erst gar nicht in den katholisch-sakralen Raum. So verkam denn, um es aller Derbheit zu sagen, die göttliche Speise zum Fast Food Touristen Menu. Ohne Schwung und ohne Begeisterung, ohne einen Funken von Mystik und Erotik, langweilig und gelangweilt führte man die Messe vor. Schade drum. So ist es halt in Salzburg. Hochkultur und anderes liegen dort sehr nah beieinander. „Allein, was tut’s“. Es hat nicht geregnet – zumindest das nicht.

Die zugedeckte Untote – Elektra bei den Salzburger Festspielen

Ein berühmter Dirigent, ein noch berühmteres Orchester, ein berühmter Regisseur, berühmte Sängerinnen, Hochpreise, Feuilletonkritiker, die vor großen Namen ehrfurchtsvoll in die Knie sinken – und eine allenfalls mittelmäßige Aufführung. Wie kann es nur sein, dass der berühmte Dirigent ohne Rücksicht auf die Sängerinnen ein Orchesterfestival zelebriert und die Stimmen so zudeckt, dass sie in der zwanzigsten Reihe des Parketts nicht mehr oder nur gelegentlich zu hören sind, dass die Orchesterklangmassen, so bravoureus sie auch gestaltet werden, die Sängerinnen zu Statistinnen machen, die unverständliche Laute von sich geben. Eine sehr seltsame Interpretation. Vielleicht war sie auch gar nicht so gemeint, wie sie in den hinteren Reihen des Parketts ankam? Vielleicht hat das überdimensional große Haus die Stimmen einfach ‚verschluckt’? Mag sein. Ich sage ganz offen –  und den Vorwurf des Dilettantismus nehme ich dabei gerne auf mich – dass es mir nicht gefallen hat und dass ich in München weit  faszinierendere Elektra Aufführungen gesehen habe. Wenn schon der Maestro der Elektra wenig gewogen war, dann wollte ihm die Regie nicht nachstehen. So ist es nur konsequent, dass sie aus der armen Elektra mit ihrem unheilvollen und unheilbaren ‚Elektrakomplex’ eine bleich geschminkte Untote macht, die aus einer Gruft herausklettert und der bösen Frau Mama, die als abgetakelte Tragödin  da her kommt, nur ihren Komplex bedingten Hass entgegen schleudern kann. Liebhaber Aegisth  ist zur Karikatur eines Fin de Siècle Dandy mutiert. Dass Prinzessin Chrysothemis, die in Kostüm und Frisur auch als Mitglied des Landfrauenbundes durchgegangen wäre, sich unbedingt „ein Weiberschicksal“ wünscht, das können wir Zuschauer leicht nachvollziehen. Auch wenn aus den öden Fensterhöhlen des in Schieflage geratenen Palasts gleich schon im ersten Bild die Islamistinnen und die KZ-Wächterinnen herausklettern (bei Hofmannsthal sind es die Mägde und die Aufseherinnen), dann ahnen wir, dass die Geschichte  nicht gut ausgehen kann. Dass Orest im faschistischen Leder auftritt, Klytämnestra am Fleischerhaken im Kühlhaus kopfüber aufgehängt wird, das befremdet uns ein wenig. Dass im Finale den armen Orest gleich die Erinnyen jagen, das steht zwar nicht bei Hofmannsthal. Aber das wissen wir alle – Regieteam und Zuschauer – noch aus dem Mythologielexikon. Was mag wohl die Grundkonzeption der Regie gewesen sein? ‚Arbeit am Mythos’ alle Male. Aber welche Variante war es denn? Nichts Archaisches? Oder vielleicht nur ein bisschen, wenn die Erinnyen aus den Gräbern kriechen? Nichts Freudianisches? Oder vielleicht ein bisschen von Eros, Thanatos, Inzest? Gewaltexzesse in archaischer und moderner Zeit als tödliche Krankheit? War es das? Nennen wir das, was in der Salzburg von der Regie geboten wurde, einfach einen post postmodernen Zitatensalat. Und was den musikalischen Part angeht? Von Salzburg erwartet man eigentlich mehr? Oper und Schauspiel. „Beides und von  beiden das Höchste“ – so hieß es einstens. Max Reinhardt, Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal sind schon so lange Zeit im Elysium. Und ihre späten Nachfolger? Die Götter und die Musen sehen sie nur flüchtig.

Vielleicht sollte man in Salzburg nur noch zu den so genannten kleinen Veranstaltungen gehen? Zum Abschlusskonzert des „Young Singers Project“, wo die Stars (einige der Stars) von morgen zu hören waren, zum Liederabend, wenn Philippe Jaroussky  “Mélodies“ aus dem Fin de Siècle vorträgt, zum Konzert des Swedish Chamber Orchestra, wenn dieses Nina Stemme bei den Wesendonck Liedern und den Nuits d’été begleitet und unter seinem Dirigenten Thomas Dausgaard Beethovens 7. Symphonie mit solcher Verve und solcher Begeisterung spielt, dass man sofort versteht, warum die berühmte Deutung der Siebten  als „Apotheose des Tanzes“ den Sachverhalt trifft.  Bei solchen Aufführungen da wird Salzburg wirklich zum Ereignis.