Wenn mittelgroße Häuser sich an den Ring wagen und wenn er dann wie jetzt in Freiburg (vielleicht mit Ausnahme des Rheingolds) auch noch gelingt, dann erübrigt sich jegliche Mäkelei, dann kann man den Wagemut der Verantwortlichen nur bewundern. In Freiburg steht – allen voran Christian Voigt als Siegfried und Sabine Hogrefe als Brünnhilde – ein brillantes Sängerensemble auf der Bühne, das nach einem etwas verhaltenen Beginn sich immer mehr steigerte und das zu Recht enthusiastisch gefeiert wurde. Auch was aus dem Graben klang, war beachtlich (es muss ja nicht immer gleich die Wagnerdroge sein, wie sie – manchmal – den großen Häusern gelingt). Die Inszenierung versucht sich erst gar nicht an einem Welterklärungsmodell, sondern setzt konsequent und stringent auf eine Aktualisierung und Degradierung des Mythos, um nicht zu sagen: auf eine Banalisierung des Geschehens. In Freiburg geht es nicht um Gott und Menschheit, tumbe Helden und finstre Bösewichte. Hier geht es um Intrigen, um Eifersucht und Rachsucht und Scheitern unter eher unbedarften kleinen Leuten. Brünnhilde ist in der ersten Szene das späte Mädchen von nebenan, das mit seinem Lover im Bett liegt und von Albträumen gequält wird: ihre Puppen verwandeln sich in groteske Hexen (bei Wagner die Nornen) und versuchen, sie im Wortverstande einzuspinnen und zu fesseln. Siegfried, im weißen Sommeranzug, ist ein eitler Sunnyboy, der offensichtlich mit der falschen Frau im Bett liegt und der von Gutrune, die ein bisschen auf verrucht macht, mit einem Kuss (auf den Zaubertrank verzichtet die Regie zu Recht) gefügig gemacht wird. Und Hagen ist keineswegs der Finsterling, als der er so gerne präsentiert wird. In Freiburg ist er mit Brille und im gediegenen Anzug ein Intellektueller, vielleicht ein zu kurz gekommener Professor oder Bibliotheksrat, der für die Katakomben der Uni-Bibliothek zuständig ist und inmitten von unausgepackten Bücherkartons lebt. Gunther und Gutrune sind wohl für die oberen Etagen der Bibliothek zuständig. Da ergibt es sich gleichsam von selber, dass man in den Kisten die alten Geschichten von Siegfried und Hagen und den Nibelungen findet und – ein schöner, gar nicht aufdringlicher Metatheatergag – sie nachspielt. Und alle Mitarbeiter spielen mit: die studentischen Hilfskräfte dürfen die Rheintöchter machen und die kräftigen Bücherschlepper, die spielen halt die Mannen. Professor Hagen ist am Ende richtig erschrocken darüber, dass er seinen Rivalen, den Schönling Siegfried, gemeuchelt hat. Wollte der doch gar nicht Bibliotheksdirektor werden, sondern sich nur mit der hübschen Assistentin Gutrune amüsieren. Oder sagen wir es im Uni-Jargon: Altgermanist Prof. Hagen hat endlich sein Forschungsobjekt, die Nibelungen, und den verhassten, so erfolgreichen Kollegen noch dazu zur Strecke gebracht. Schade nur, dass das frustrierte späte Mädchen, die neu dazu gekommene Kollegin, der alle Mitspieler so viel Übles angetan haben, den burschikosen Rächer mimen will. Da bleibt Professor Hagen nur die Flucht hinter seine Bücherkartons, und alle Mitspieler (alle Mitarbeiter der Bibliothek) schauen im Finale recht verbiestert drein. Ja, warum soll man Wagners Mythen nicht auch mal von ihrer Schwerlastigkeit befreien und sie als Variante der Banalitäten erzählen. In Freiburg macht man das gekonnt. Wir sahen die Vorstellung am 4. Juni 2010. Die Premiere war am 16. Mai des gleichen Jahres.