Besser, schöner, vollendeter lässt sich Monteverdi wohl nicht singen. Dies bleibt an einem frühsommerlichen Abend in Madrid als Eindruck haften, wenn man Stars wie Danielle de Niese als Poppea, Philippe Jaroussky als Nerone und Anna Bonitatibus als Ottavia gehört hat. War es Zufall oder Absicht, dass in dieser Madrider Poppea, einer Koproduktion „con el Teatro La Fenice de Venecia“, ausschließlich die Stimmen im Zentrum des Interesses standen? Wenn es Absicht war, dann war sie erfolgreich – oder sie ergab sich zwangsläufig. Vom Orchester, von den hochrangigen Spezialisten für alte Musik, Les Arts Florissants, die unter der Leitung von William Christie musizierten, war in dem großen Madrider Haus kaum etwas zu hören – das mehr als bekannte Problem aller historischen Aufführungspraxis. In den weiträumigen Musiktheatern des 19. Jahrhunderts verliert sich eine Musik, die für Intimität, für eine höfische Festgesellschaft und für kleinere Säle gedacht war, als ‚ferner Klang’ (es sei denn, man sitzt in den ersten Reihen des Parketts). Kein Zweifel, dass ein Routinier wie Maestro Christie sich dieses Problems bewusst ist und wohl aus der Not eine Tugend gemacht hat und deswegen, eben um den Stimmen nur allen denkbaren Raum zur Entfaltung zu bieten, seine Instrumentalisten gleich noch mehr zurücknahm. Auch Pier Luigi Pizzi, einer der berühmt-berüchtigten Altmeister des antiquierten Dekorationstheaters, der für den gesamten außermusikalischen Part verantwortlich zeichnet, war nicht minder sängerfreundlich eingestellt und verzichtete von vornherein darauf, seine Sänger als Schauspieler zu fordern. Sie dürfen in weißen, schwarzen oder auch Gold glitzernden Gewändern vor Säulenhallen in meist dämmerig-silbernem Licht hoheitsvoll schreiten, auch in hoch emotionalen Szenen nur wenig Emotion zeigen, und vor allem dürfen sie durchweg von der Rampe singen. Mit anderen Worten: in Madrid ist klassisches französisches Theater zu besichtigen – mit dem einzigen Unterschied, dass nicht eine hoch stilisierte Bühnensprache, sondern ein hoch stilisierter rezitativer Gesang Träger des Geschehens ist. Dass bei dieser Konzeption die komödiantischen Szenen (klassisch: das Satyrspiel zur Tragödie) wie Fremdkörper, mit denen die Regie wenig anzufangen wusste, wirkten, verwundert dann nicht mehr. Von den komödiantischen Szenen, die durchweg unbeholfen, um nicht zu sagen peinlich wirkten, ist einzig die Nerone-Lucano Szene gelungen. Hier hat sich die Regie wohl der Technik der Personenregie erinnert und im Wettstreit mit und in Ergänzung zum Gesang über die Körpersprache der Akteure die Bisexualität Nerones geradezu plakativ herausstellt. Das war aber auch die einzige Kühnheit, die sich die Altmeister Pizzi erlaubte. Ansonsten auf der Szene nichts von Sex und Crime, nichts von verruchten Ambitionen und rachsüchtiger Leidenschaft und schon gar nichts von Karneval, kaum etwas von dem, was das Libretto erzählt. Mit einem Wort: auf der Szene edle, sublime Langeweile, eben klassisches französisches Theater in antiquierter Aufführungspraxis. Doch Monteverdi-Stimmen und Monteverdi-Gesang in höchster, in manieristischer Vollendung. Nach Madrid fährt man nicht wegen der Oper – aber bei dieser fulminanten Besetzung vielleicht doch. Wir sahen die Premiere am 16. Mai. In diesem Monat wird Poppea noch achtmal aufgeführt.