In Zürich ist, um es gleich vorweg und ohne alle Einschränkung zu sagen, was Orchesterklang und Gesang angeht, eine grandiose Aufführung der Frau ohne Schatten zu erleben. Mögen die Musikkritiker die Aufführung im Einzelnen analysieren und meinetwegen auch bekritteln. Die simple Opernbesucherin mit nur rudimentären musikwissenschaftlichen Vorkenntnissen kann über die Klangeffekte, den Klangrausch, den das Zürcher Opernorchester unter dem Dirigenten Welser-Möst entfacht, nur staunen, ein Klangrausch, der auch in dem relativ kleinen Haus der Zürcher Oper nie den Zuhörer erschlägt und der schon gar nicht die Sänger zudeckt oder gar die Textverständlich beeinträchtigt. In Zürich, so glaubt die naive Opernbesucher, ist ein Strauss zu hören, wie er schöner und einschmeichelnder, meinetwegen auch berauschender, kaum geboten werden kann. Und dass zudem in Zürich Sängerschauspieler der ersten Kategorie auf der Bühne singen und agieren, dass zum Faszinosum des Orchesterklangs noch der Zauber des Strauss Gesangs kommt, das nimmt man in Zürich schon als selbstverständlich hin. Für die Inszenierung zeichnen renommierte Spezialisten der Grand Opéra verantwortlich. Wenn man das große Spektakel mag, bei dem es angeblich um „Menschheitsfragen“ geht, dann ist man bei David Pountney und Robert Israel gut aufgehoben. Für sie ist der Kaiser ein später Habsburger, der auf die Jagd geht und der mit der geheimnisvollen Märchenprinzessin, die ihm zugefallen ist, nichts anzufangen weiß, der Geisterbote ist ein Riese mit eher bürgerlichem Habitus, der Färber ein Edelproletarier aus der Zola Welt, die Färberin ein proletarische Zicke mit Aufstiegs- und Sexträumen, die erst als der Gutmensch im Färber den gewalttätigen Macho herauskehrt, die Gattenliebe entdeckt, die Amme ist eine Hexe, die Kaiserin eine sanfte Gutmenschin auf der Suche nach der Selbstverwirklichung, das Geisterreich ist eine Operetten- und Varietéwelt, die im ganz konkreten Sinne als Theatershow in die proletarische ‚Wirklichkeit’ der Färberin einbricht, der Falke und die Ungeborenen und nicht zuletzt auch das Bühnenbild im ersten und im dritten Akt verweisen auf Max Ernst Collagen. Regie und Ausstattung setzen eine beeindruckende Märchen- und Zauberwelt in Szene, sparen nicht mit Verweisen auf die Kunstgeschichte und die allgemeine Historie, zeichnen in den Färberszenen eine pseudorealistische Armeleutewelt und lassen selbst die (etwas abgespielten) Metatheater Gags nicht aus. Im Finale, nachdem die Liebenden frei nach der Struktur der Zauberflöte, alle Prüfungen bestanden haben und das Ziel all ihr sexuellen Wünsche (die Kinderschar?) vor Augen haben, entschwindet alle Märchen- und Zauberwelt. Die Akteure treten in Alltagskostümen auf, mimen Schauspieler, die gerade mit höchster Konzentration ein Märchen über „Menschheitsfragen“ gespielt haben und die jetzt zum gemütlichen Teil in der Kantine übergehen. Wie schön. So haben wir am Ende doch noch die Kurve gekriegt und das große Spektakel als Theater auf dem Theater entlarvt. Ob ein solcher gewaltsamer Metatheatergag im Sinne der Musik ist? Ich weiß es nicht. Wir sahen am 16. Dezember 2009 die zweite Aufführung, die „Premiere B“. Die Premiere war am 13. Dezember 2009.