„Wir spielen das Werk in seiner französischen Fassung mit wesentlich erweiterten choreographischen Anteilen. Sie wird in einer erstmaligen großen Koproduktion des Stuttgarter Balletts und der Staatsoper Stuttgart von Christian Spuck [für Unwissende: das ist der „Hauschoreograph“] inszeniert und choreographiert“. So heißt es vollmundig im hauseigenen Theater Journal – und die Erwartungen sind entsprechend hoch. In Stuttgart spielt man Glucks Orpheus nicht in der Berlioz Bearbeitung, also nicht mit einem Mezzosopran in der Titelrolle, sondern in der Pariser Fassung von 1774 mit einem Tenor als Protagonisten – und eben als Opéra Ballet. Und dabei begnügt man sich nicht damit, die von Gluck schon vorgesehenen Ballettmusiken in Szene zu setzen. Man illustriert, nein besser: man verdoppelt das Geschehen im Medium des Tanzes. Gleich vier Solistenpaare und natürlich der Corps de Ballet werden aufgeboten, um die Leiden des jungen Orpheus und den Schaden, den seine Eurydike im Elysium der seligen Geister erlitten hat, in die Sprache der rituellen Bewegung zu transferieren. Wer Ballett mag, der kommt an diesem Abend sicherlich auf seine Kosten, denn das Stuttgarter Ballett hat wohl zu Recht noch immer einen guten Ruf. Wer Gesang und Orchesterklang vorzieht, auch der hat keinen Grund zur Klage. Das Staatsorchester spielt einen getragen feierlichen Gluck. In der Titelrolle brilliert ein junger Sängerschauspieler (Luciano Borlho). Und auch die Regie spart nicht an Gags. Dass sie das zwanghafte lieto fine, wie es das Libretto fordert, nicht nachvollziehen kann, das können auch wir Zuschauer nachvollziehen. So hat sich denn die Regie für ein triste fine entschieden. Die arme Eurydike trifft nach dem großen Ballettfinale der Schlag. Und das ganze Stück – so suggeriert es die Regie dem verblüfften Zuschauer – war wohl so eine Art Karnevalsspektakel (zum Finale setzen sich die Choristen Karnevalshütchen auf), das die Tanztruppe in ihrem Ballettsaal aufführt. Dass eine Sängerin, die man für die kleine Rolle der Euridice zum Mitmachen überredet hatte, so einfach schlapp macht, das war nicht vorgesehen. Aber es passt gut in unser Konzept. So sind wir denn anders als es der Ritter Gluck geplant hatte, wieder bei der tragischen Variante des Mythos, die uns sowieso mehr zusagt, gelandet. Und das alte Spiel um Liebe und Tod und die Vergeblichkeit aller Kunst, die keine Rettung bietet, kann von neuem beginnen. Ein zirkulärer Schluss, der nicht so ganz neu ist, der immerhin das Publikum ein bisschen rührt. Und die Musik ist halt so schön. Der Stuttgarter Orphée ist in seiner durchweg geglückten Verbindung von Tanz und Gesang und Orchesterklang eine Rarität, die man nicht versäumen sollte. Wir sahen die vierte Aufführung am 17. Juli 2009. Die Premiere war am 27. Juni. In der nächsten Spielzeit steht Orpheus und Eurydike wieder auf dem Programm. Vielleicht gehe ich noch einmal hin.