Nach dem fulminanten Carsen Ring, der vor zwei Jahren zuletzt gezeigt wurde, hat die Kölner Oper mit Wagner Inszenierungen kein Glück mehr gehabt. Den Kölner Lohengrin konnte man mit viel Wohlwollen als ironisches Mittelaltermärchen verstehen, den Tannhäuser als unfreiwillige Parodie. Doch jetzt bei Tristan und Isolde sind wir an einem Tiefpunkt angelangt, und man fragt sich, jetzt ohne Wohlwollen, wenn statt des Stadtarchivs das Opernhaus in einem tiefen schwarzen Loch versunken wäre, ob das überhaupt weiter aufgefallen wäre. Doch seien wir nicht zynisch. Wir sind eher traurig und bestürzt darüber, dass die Kölner Oper, in der ich im Laufe der Jahre so viele hervorragende Aufführungen gesehen habe, dabei ist, sich aus dem Kreis der großen Opernbühnen zu verabschieden. Natürlich spielt das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Markus Stenz noch immer einen rauschhaften Wagner. Allein, was auf der Bühne zu sehen und zu hören ist, das ernüchtert schnell. Ich verbiete mir jede Sängerkritik. Ein Opernhaus ist kein Fußballplatz, auf dem jeder Zuschauer an den Akteuren herummäkeln darf (das miese, besserwisserische Bekritteln der Sänger, auf das man immer wieder in den einschlägigen Magazinen stößt, ist mir sowieso zuwider). Ich sage einfach nur, dass es mir nicht gefallen hat und dass zwischen der Kölner und der Zürcher Tristan Aufführung, die ich Anfang Januar gesehen habe, Welten liegen. Und dies gilt nicht minder für das Inszenierungskonzept.
Natürlich braucht man Tristan und Isolde nicht, wie das Werner Schroeter vor ein paar Jahren an der Deutschen Oper am Rhein vormachte, in eine Schwulenoper zu transformieren und die Handlung unter Matrosen auf den Panzerkreuzer Potemkin zu verlegen. Man braucht auch nicht unbedingt die beiden Damen Isolde und Brangäne auf eine Mittelmeerkreuzfahrt zu schicken, wie das in München geschieht. Ort der Handlung braucht auch nicht die Villa Wesendonck zu sein, und man braucht auch nicht, wie das Claus Guth in Zürich tut, den Mythos von Tristan und Isolde als Variante der heimlichen, der verbotenen Liebe zwischen Mathilde Wesendonck und Wagner neu zu erzählen. Aber ob es eine große Regietat ist, die Kölner Bühne zur Bregenzer Seebühne umzufunktionieren und Tristan und Isolde zu einer Art Musical zu machen, das bezweifle ich. Natürlich kann man mit der Seebühne allerlei technischen Firlefanz veranstalten und im zweiten Akt mit einem bunten Lichtspektakel (das macht sich bei Nacht über dem See auch in Bregenz so schön) die Lichtregie so richtig auf Trab bringen. Auch kann man das arme Liebespaar, statt es endlich einmal zur Ruhe kommen zu lassen, über allerlei Gerümpel rauf und runter klettern lassen (von oben sehen es halt die Zuschauer auf den hinteren Plätzen besser – ganz wie in Bregenz). Man kann auch, weil der eine oder andere Zuschauer vielleicht nicht so recht mitbekommt, was die da singen, das Ganze ein bisschen visualisieren und eine rot gewandete Brangäne als stumme Begleitung zum berühmten Liebesduett Sexphantasien mimen lassen. Man kann dem Tristan auch einen Nazarener Look verpassen, die Isolde vor einer bläulichen Lichtscheibe sich im Tanz wiegen und das Paar im Finale des zweiten Akts ein mittelalterliches Altarbild nachstellen lassen. Und dann sind wir beinahe im Musical Jesus Christ Superstar. Ja, warum sollte der leidende Tristan nicht in der Nachfolge Christi stehen und Isolde nicht etwas von einer Maria Magdalena haben. Im (einstigen) katholischen Köln würde man eine solche Variante sogar zu goutieren wissen. Doch hat sich die Regie eigentlich nie gefragt, ob sie mit ihrem Musical Konzept nicht die berühmte Sehnsuchtsmusik, dieses „unstillbare Verlangen“, das nur im Tod „Erlösung“ findet, verhunzt? Oder war vielleicht die Verhunzung und Herabziehung das eigentliche Inszenierungskonzept?
Es mag manchen Zuschauer geben, dem das Musical gefallen hat, zumal es ja auch im ersten Akt einen richtigen mittelalterlichen Kahn zu besichtigen gibt, auf dessen Bug die Damen und auf dessen Heck die Herren agieren, eine Etage tiefer die Chorsänger die Ruderknechte mimen und auf dessen Heck die arme Isolde beim Anblick Markes gleich in Ohnmacht fällt.
Wir sind nicht vor Schreck in Ohnmacht gefallen und haben bis zum traurigen Ende durchgehalten und sind frustriert und enttäuscht nach Hause gefahren und haben noch zu allem Überdruss in der berühmten Kölner Traditionskneipe eine halbe Stunde auf das erste Kölsch warten müssen. In Köln sollte man vielleicht nicht nur im Rathaus, sondern auch gleich in der Oper und im Wirtshaus einen Neubeginn versuchen.
Wir sahen die zweite Vorstellung. Die Premiere war am 22. März 2009.