Wer zu einer Robert Wilson Inszenierung geht, der weiß, was ihn erwartet: ein Fest des Manierismus, ein Artefakt, dem jeglicher Bezug auf eine wie auch immer geartete ‚Wirklichkeit’, jeder Hinweis auf eine konkrete Zeit fern liegen. Es gibt kein Bühnenbild, nur Lichtschattierungen und Lichtbalken. Es gibt mit Ausnahme der für die Handlung unentbehrlichen Gegenstände wie Hagens Speer oder Siegfrieds Schwert und Tarnhelm praktisch keine Requisiten. Und Speer bzw. Schwert und Tarnhelm tragen die beiden Gegenspieler gleichsam wie materialisierte Leitmotive ständig mit sich herum. Die Kostüme sind lange Gewänder, die an mönchische Kutten erinnern. Gestik und Bewegung sind bis in die kleinsten Regungen durchstilisiert und ritualisiert. Auf der Bühne agieren keine Menschen, sondern Wesen aus einer fernen unbestimmten Urzeit oder vielleicht auch Untote, die ihre Leidenschaften, von denen die Musik erzählt, verhalten und rituell, im Wissen um ihr auswegloses Geschick und gleichsam innerlich unbeteiligt, noch einmal nachspielen, auf einer Bühne, auf der sie durch die Lichteffekte immer wieder zu Scherenschnittfiguren werden: Schattenrisse aus dem Totenreich.
Und da ist es nur konsequent, dass ein bleicher Siegfried nicht als „Held“ bei den Gibichungen hereinstürmt, sondern wie eine Geistererscheinung aus der Unterwelt aufsteigt, dass sich Brünnhilde im Finale wieder auf die Grabplatte legt, auf der sie Siegfried einst gefunden hatte und dass das Feuer, das die Götterburg erfassen soll, eher an das Feuer eines Krematoriums erinnert. Götterdämmerung als Totenweihefest. Einen Neuanfang, mag die Musik ihn auch im Finale suggerieren, gibt es bei Wilson nicht. Oder vielleicht doch? Verweisen die Todesriten, in die Regie, Bühnenbild und Lichtgestaltung die Götterdämmerung transformiert haben, vielleicht auf altägyptischen Totenkult? Vielleicht auf Isis und Osiris? Ich weiß es nicht.
Wir haben in den letzten Jahren die Götterdämmerung als Fantasy- und Märchenspektakel, als Metatheater und Traumtheater, als Parodie der Tragödie, als Military Show und Rockeroper, als Zitatenkonglomerat aus Film, Malerei und Literatur gesehen. Nichts von alledem findet sich bei Wilson. Ob das Zürcher Publikum die realitätsfernen, zeitlosen Mysterienspiele, die Wilson Manier mag? Ich weiß es nicht. Nach der zweiten Pause lichteten sich die Reihen. Ob man nun Wilson mag oder nicht. Das Zürcher Orchester unter Philippe Jordan spielte einen wahrhaft hinreißenden Wagner.