Eigentlich ist es mehr als snobistisch, von Zürich nach Madrid zu fliegen, um Wagners „große romantische Oper“ in einem spanischen Musiktheater, in amerikanischer Ausstattung und Inszenierung, mit deutschsprachigen Sängern zu hören und zu sehen. Und die Enttäuschung ist auch entsprechend. Natürlich darf man in Madrid kein großes Opernspektakel im Stile eines Neuenfels, eines Konwitschny oder eines David Alden erwarten. Aber etwas Besonderes erhoffte man sich doch. Eine trügerische Hoffnung. Die Madrider Verantwortlichen haben sich bei ihrem Tannhäuser für etwas Braves und Konventionelles entschieden und eine Inszenierung aus Los Angeles eingekauft. Regisseur Ian Judge ist immerhin so kühn, die Handlung in die Entstehungszeit der Oper und in großbürgerliche Salons zu verlegen. So sitzt denn zur Ouvertüre der Hausherr, unser Tannhäuser, im weiten roten Schlafrock am Flügel und scheint vergessen zu haben, dass die Damen und Herren eines gewissen Etablissements einen Pornoabend für ihn vorbereitet haben. Allein die angebotene Erotik-Show ist trotz aller Striptease Bemühungen des Personals so zäh und so langweilig, auch wenn die Leiterin des Etablissements sich in ihr Cocktailkleid geworfen hat, sich dekorativ auf den Flügel legt, Champagner aus der Flasche säuft, den Joint mit dem Hausherrn teilt, dass man auch im Publikum sehr schnell versteht, dass unser braver Sänger und Dichter aus diesem „Reiche fliehen“ will. Wir sind nicht geflohen, obwohl der erste Akt Schlimmes für den Abend befürchten ließ.
Nicht nur, dass „Frau Venus“ den Charme und die Ruchlosigkeit einer amerikanischen Hausfrau aus dem mittleren Westen ausstrahlte, nicht nur, dass die Erotik Show in ihrer Rotlichtdämmung das Peinliche mehr als streifte. Auch im Orchestergraben, obwohl doch ein berühmter spanischer Dirigent am Pult stand, wollte man von einem „Bacchanal“ nicht viel wissen. So geriet denn der erste Akt zu einem ziemlich lustfeindlichen Unternehmen. Ganz anders als der erste gelingen der zweite und der dritte Akt – im einmal vorgegebenen konventionellen Rahmen – szenisch und musikalisch recht ansprechend. Da gibt es einen großbürgerlichen Empfang zu sehen. Da greifen die Sänger beim „Sängerkrieg“ nicht in die Saiten, sondern improvisieren ihre Lieder am Flügel. Da gibt ein sängerisch brillanter Wolfram den Gutmenschen und verklemmten Intellektuellen. Da preist ein nicht minder brillanter Tannhäuser Liebe und Lust im Venusberg, (wenngleich einen der Verdacht beschleicht, er prahle nur mit seinem letzten Ibiza Urlaub). Und zum Finale im letzten Akt gibt es dann eine richtige schöne Leiche. Auch die Nackedeis aus dem ersten Akt haben noch einmal einen Auftritt, und selbst für die Schwulen unter uns (in Spanien wird niemand ausgegrenzt) gibt es noch eine kleine Einlage. Und dann hat sich die Regie zum Schluss bei aller sonstigen Konventionalität (die Pilger schleppen tatsächlich einen Hirtenstab „mit frischem Grün“ herbei) noch zwei kleine Gags ausgedacht, die beinahe unbemerkt untergehen: Frau Venus, der der Tannhäuser gerade abhanden gekommen ist, schnappt sich den armen Wolfram (sie steht halt auf Sängern), und statt der Mönche begleitet ein Erosknabe die Leiche der Elisabeth und macht mit einer Handbewegung auch den reuigen Liebessünder Tannhäuser zur Leiche. Eros und Thanatos für Anfänger.
Ein aufmerksames Publikum, das zu keinem Zeitpunkt durch Husten oder Unruhe störte, feierte alle Mitwirkenden – vielleicht nicht immer zu Recht. In Spanien ist halt anders als in einem mit seinen über einhundert Musiktheatern wohl übersättigten Deutschland ein Opernabend kein Alltagsvergnügen, sondern ein Ereignis. Von der „großen romantischen Oper“ zum Madrider Alltagsleben sind es nur wenige Schritte. Und so trifft man sich denn nach Sünde und Buße, Lust und Kunst im Teatro Real zu jamón y pescado, vino y cerveza gleich gegenüber in der Taberna Real. Ein schöner und unterhaltsamer, ein biederer Abend in Madrid.
Wir sahen die Premiere am 13. März 2009.