12. 10. 08 Romeo und Julia und die schwarze Venus. Ein faszinierender Konwitschny Tannhäuser in Dresden

In die so verstaubte Semperoper mit ihrem so sehr auf die Bedürfnisse der Tourismusindustrie zugeschnittenen Programm wollte ich eigentlich nicht mehr gehen. Doch wenn Konwitschny inszeniert, dann lohnt es sich allemal, und das auch dann, wenn die Inszenierung nicht mehr gerade taufrisch ist (wir sahen die „53. Vorstellung seit der Premiere am 29. Juni 1997“).Um es gleich vorweg zu sagen: es war ein grandioser Opernabend in Dresden, an dem es nichts zu kritteln gibt. Nicht nur, dass mit der Nylund (unserer Lisa vom Dienst) und mit Stephen Gould (dem gefeierten Wiener Siegfried) in den Hauptrollen Stars der internationalen Opernszene auf der Bühne stehen, nicht nur, dass mit Maestro Schneider am Pult hohes musikalisches Niveau garantiert ist, nicht nur dass Konwitschnys spektakuläre polyvalente Inszenierung immer wieder neue Überraschungen bietet, neue Einsichten über ein Werk vermittelt, das man schon so oft gehört und gesehen hat und das man zu kennen glaubt, ja selbst ein mehrheitlich touristisches Publikum hörte und schaute über vier Stunden durchweg diszipliniert zu. Zu hören gab es eine Staatskapelle auf hohem Niveau und ein Ensemble von Sängerdarstellern, wie man es  in dieser Qualität und dieser Geschlossenheit recht selten antrifft.  Und zu schauen und zu bestaunen  gab es eine Inszenierung, der alles Konventionelle fern liegt. Dass Konwitschny einen Wagner „à rebours“ präsentiert, dass er den Tannhäuser gegen den Strich liest, dass er Wagners Erlösungsmythologie, dieses ganze Erlösungsgeschwafel, über das sich schon einstens Nietzsche amüsierte, nicht ernst nimmt, sondern dass er Wagners Message geradezu ins Gegenteil verkehrt, all dies überrascht nicht.

Man kennt diese Umdeutungen, diese Verweigerung aller Erlösung schon von Konwitschnys Münchner Wagner Versionen, von seinem  Parsifal und von seinem  Fliegenden Holländer. Auch im Dresdner Tannhäuser  gibt es keine Erlösung für die Liebenden. Noch nicht einmal den romantischen Liebestod vergönnt ihnen die Regie. Allenfalls ein Romeo und Julia Finale gesteht sie ihnen zu. Die Liebenden enden im Selbstmord. Während Wolfram vom „holden Abendstern“, dem Stern der Venus singt, und Elisabeth in den Armen hält, schneidet sich diese mit dessen Kreuzritterschwert die Pulsadern auf und stirbt zur Kadenz. Eine Szene, die die konventionelle biedere Rührseligkeit der Abendsternromanze geradezu karikiert. Beim Anblick der toten Elisabeth darf Tannhäuser noch schnell sein  – sinnentleertes – „Heilige Elisabeth bitte für mich“ intonieren, bevor er sich selber meuchelt – und eine schwarze Venus hält die Selbstmörderin Elisabeth in den Armen. Nicht die „heilige Jungfrau“, sondern die Göttin der Liebeslust, hört ihr „Flehen“. Die heidnische Göttin siegt trotz der Choralmusik, trotz der  scheinbar so frommen Pilger – sie kommen als arabische Fundamentalisten und als Stasi-Schlapphüte daher – über die christliche Göttin. Da bleibt dem armen Wolfram, unserem Gutmenschen, nur die Flucht. Die Flucht in den Venusberg? Ein blasphemischer Schluss?  Ein Finale gegen die Musik? Ein Finale, das das Kirchenmusik Getöse, den protestantischen Posaunenschall als verlogenes Getue entlarven und den Tannhäuser mit seiner glitzernden Venusmusik  als Hymne an Freude, Lust und „Genuss“ feiern will? Eine Sinnlichkeit, die sich nur in einer Märchenwelt, eben im „Venusberg“ ausleben lässt? „Amor vincit omnia“? ja im Märchen ? Vielleicht ist dies die Grundkonzeption einer Inszenierung, die nicht nur im Finale, sondern gleich von Anfang an mit spektakulären Bildern und Szenen beeindruckt und fasziniert. Da feiern Venus und ihre Gespielinnen ihr Bacchanale in einer gigantischen Venusmuschel und zerfleddern im Spiel eine Tannhäusermarionette, da erscheint Tannhäuser als Träumender und stützt sich auf eine Art Kreuzfahrerschwert. (Das Traummotiv erweist als eine Art blindes Motiv). Der Hirte ist ein Pappmascheengelchen – und signalisiert damit die Lächerlichkeit der Erlösungsidee. Die Wartburgsänger kommen wohl gerade von einer Sauftour aus Oberbayern zurück. Oder sind sie vielleicht Karikaturen der Revolutionäre von 1848? Das Wartburgfest beginnt als Tanzstundenball (in einer Art Venusgrotte?), wandelt sich dann zu einem mittelalterlichen Kostümfest und kulminiert im Finale in einer an die düsteren Bilder eines El Greco mahnenden Golgathaszene. Tannhäuser eine Art Christus oder ein gefallener Luzifer, den die empörte Festgesellschaft kreuzigen will und den eine engelhaft bleiche, weiß gekleidete Elisabeth noch einmal retten kann? Eine Elisabeth, die schon im Duett  mit Tannhäuser und erst recht bei dessen Liebeslied ihre Sinnlichkeit nur mühsam unterdrücken konnte. Eine heilige Hure? Fragen über Fragen, auf die die Regie keine Antwort geben will.

Ein Tannhäuser in der typischen Konwitschny Manier: provokativ, vieldeutig, umstürzlerisch, ein Appell an die Imagination des Zuschauers, sich von den gängigen Deutungen zu lösen und sich für eine ganz andere Sicht auf ein  scheinbar so bekanntes Stück zu öffnen, eben Regietheater im besten Sinne des Wortes.