Diese Posse, dieses Musical, diese „most tragical comedy“, dieses „Wagner- Panoptikum“, diese „groteske Phantasmagorie“ (Keith Warner), diese „Oper in zwei Akten“, die Avner Dorman auf ein Libretto von Lutz Hübner & Sarah Nemitz komponiert hat, dieses opus hat alle Chancen, bald zum höchst amüsanten Beiwerk aller Ring- Produktionen zu gehören – ja, wenn Wahnfried so grandios inszeniert wird wie jetzt von Keith Warner in Karlsruhe.
Nicht dass Dormans Musik sich auf Wagner bezöge oder dass sich der Komponist gar als Wagner Epigone geriere. Nicht im geringsten. Es mag allenfalls sein, dass „der Meister“ mal verzerrt zitiert wird. Aber das ist auch schon alles. Dormans Musik ist eine unterhaltsame Broadway Musical Musik, ein Soundtrack, der den Zuhörer nicht fordert, der nicht vom Geschehen ablenken will, eine Musik, die sich ganz in den Dienst der Bühnenhandlung und der Inszenierung stellt, eben die adäquate Musik für ein “ Wagner- Panoptikum“.
Panoptikum Figuren sind sie alle, wie sie die Regie auf die Bühne stellt: der gesamte Wagner-Clan nebst Schwiegersohn Chamberlain, Wagner-Dirigent Levi und „Führer“. Der gerade in seinem Festspielhaus am Herzversagen verschiedene „Meister“, der als Clown, als „Wagnerdämon “ , wieder aufersteht, Houston Stewart Chamberlain, der von Cosima auserkorene Chefideologe und Propagandist des Meisters, die starrsinnige ,tyrannische Cosima, die mit Ausnahme der Isolde so verhuschten, demütigen Töchter. Die aufbegehrende Isolde wird auch gleich in die Zwangsjacke gesteckt und in die Klapsmühle abgeschoben. Nicht anders ergeht es Chamberlains erster Frau Anna, die so gern ihren „poor little one“ weiter bemuttern möchte.
Nicht viel besser weg kommt der Wagner Dirigent Hermann Levi, der noch als Untoter jammern muß, dass er bei den Wagnerianern niemals die ihm gebührende Anerkennung gefunden habe und an Wagner zerbrochen sei.
Zum Panoptikum gehört auch der mit Handgraten um sich werfende Anarchist und Möchte-Gern- Revolutionär Bakunin, der zusammen mit dem auf einem Drachen herein reitenden und anarchistische Parolen brüllenden Wagnerdämon Revolution spielen möchte und zusammen mit diesem von Chamberlain gleich für den offiziellen, allem anarchistischen Pathos absagenden Wagner-Mythos vereinnahmt wird.Bakunin setzt er die Siegfried – Perücke auf und drückt ihm das Siegfried- Schwert in die Hand. Wagners frühe Tagebücher, die Briefe Nietzsches und der Wesendonck, steckt er dem Feuer speienden Drachen ins Maul. Beide Revolutionäre werden gleichsam staatstragend kastriert.
Und nicht zu vergessen: da erscheint im Finale der“Meisterschüler“, der neue „Erlöser“ des Clans, dem der Wagnerdämon die Tür öffnet: in Kostüm und Maske und Auftreten unverkennbar A. H.
Die Inszenierung setzt einen grotesken Bilderbogen in Szene, eine komische und häßliche und manchmal das Tragische streifende Geschichte des Wagner Clans und der Rezeption Wagners bis hin zu der Zeit der Freundschaft der Winefred mit dem „Erlöser“.
In diesem Bilderbogen, in diesem Comic, wandelt sich der naive Insektenforscher Chamberlain zum machbewussten und vom Outfit her, seinem Trachtenwamst, doch so komischen Ideologen des Arier Mythos, der als Karikatur des deutschen Professors seine abstrusen Thesen verkündet. Nicht genug da mit. Zur Illustration der Thesen stehen als Tableau Vivant die eingebildeten Traumfiguren aus deutscher Geschichte um den ‚Gelehrten‘ herum. Als mit dem Weltkrieg der Mythos vom unbesiegbaren Arier sich erledigt hat, da bricht mit seiner Welt auch deren Verkünder zusammen und wird von einer kalt lächelnden Eva Wagner umsorgt.
In diesem Bilderbogen klagt der Wiedergänger Levi sein Leid und wird vom Wagnerdämon als Clown vorgeführt. Hier glaubt der schwule Siegfried Wagner im Garten der Villa Wahnfried seinen verstorbenen Freund als Fliegenden Holländer wieder zu finden und bemerkt nicht, dass diese Begegnung eine von Chamberlain arrangierte Farce ist. Und im Finale da erledigt der Wagnerdämon seinen selbsternannten Propagandachef endgültig: „Chamberlain, du hast nichts verstanden : Mich nicht, das Leben nicht, du bist eine Randnotiz, ein Irrweg.“
Es ist ein großer Spaß, die schon so viele Male erzählte Geschichte vom Aufstieg und Fall der Wagner Sippe als groteske Komödie mit Broadway-Sound zu erleben, die abstrusen Rassentheorien aus Chamberlains einst so erfolgreichem Opus, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts , mit professoralem Gestus vorgeführt zu bekommen, den nicht minder abstrusen Antisemitismus in lächerlichen Figuren repräsentiert zu sehen.
Doch bei allem Lachen, das den Spätgeborenen ob all des Wahns, der Verbohrtheit und Dummheit, an die Libretto und Inszenierung erinnern , so leicht fällt, vergeht uns doch manchmal das Lachen. Eine Groteske, so hat sie einst Victor Hugo definiert, hat nicht nur ein komisches Gesicht. Sie zeigt nich minder eine deformierte und häßliche Fratze.All diese Facetten der Groteske zeigt die Inszenierung auf, setzt großes Theater in Szene, ein Theater, das ohne gleich in Brecht Manier mit dem Zeigefinger zu drohen, ein Lehrstück für ‚Wagnerianer‘ sein könnte.
Wir sahen die Aufführung am 19. März 2017. Die Premiere war am 28. Januar 2017.