„Operette ist Rausch“ – falsch. Operette ist Schlafmittel. Armin Petras inszeniert Orpheus in der Unterwelt an der Oper Stuttgart

orpheusIm Stuttgarter Opernhaus hat man sich die Mühe erspart, einen Regisseur von auswärts zu holen und lässt den Schauspieldirektor von nebenan Offenbach inszenieren. Eine Komödie und gar eine „Opéra bouffe“ in Szene zu setzten, das ist allerdings nicht dessen Sache. Er ist eher Spezialist für das Schwerblütige, das Traurige, das Frühkapitalistische, das Gesellschaftliche. Humor und Ironie, Sinn für Parodie, all dies ist für den preisgekrönten Theatermacher wohl Teufelszeug. Entsprechend schwerfällig und zäh, über weite Strecken langweilig ist seine Offenbach Inszenierung.

Hätte er doch nur sein eigenes Programmheft, das ausführlich Karl Kraus und Siegfried Kracauer zitiert, studiert, so wäre ihm nicht entgangen, dass Leichtigkeit und Witz, Tempo und Parodie die  Offenbach -Welt ausmachen, ja geradezu deren Grundstruktur bilden. Parodie der Ohrwürmer Glucks, Parodie der Grand Opéra, Parodie der ‚herrschenden Klasse‘ des französischen Zweiten Kaiserreichs. Wie leicht wäre es doch gewesen, die Parodie, die das Libretto schon vorgibt, zu aktualisieren und sie für ein deutschsprachiges Publikum zu adaptieren. Wenn es patriotische Gefühle und political correctness schon verbieten, „Mutti“ und deren Berliner Hofstaat nebst der „Öffentlichen Meinung“ Hamburger und Münchner Provenienz vorzuführen, dann hätte man doch am neuen amerikanischen Herrscher und dessen Entourage sein Mütchen kühlen können. Was für einen Spaß hätten wir doch da im Publikum gehabt. Doch Herr Petras hält es lieber mit Frühkapitalismus und der Gesellschaft von vorgestern. In diesem Sinne wird bei ihm aus der Eurydike eine sexgeile Göre aus dem „Subproletariat“, aus Orpheus ein kleinbürgerlicher Schürzenjäger, aus Pluto ein Möchtegernrevolutionär, aus Zeus ein Menuett tanzender  Lustgreis, aus Bacchus ein stattlicher Rocker, und die ganze Götterbrut ist ein müder Haufen, der sich zu einem Kostümfest versammelt hat und  auf den nächsten Event wartet.

Was soll man zu einer Inszenierung sagen, die offensichtlich mit Offenbach überhaupt nichts anzufangen weiß, die sich ängstlich vor jeder Aktualisierung hütet, die sich in einem verzweifelten Versuch, das Publikum vor dem Einschlafen zu bewahren, nach der Pause in ein paar billige Gags flüchtet, die im Finale ein paar Filmfetzen aus dem ersten Weltkrieg einblendet und die die „Öffentliche Meinung“ etwas Pastorales von der Rampe schwafeln lässt? Ja, ja, wir wissen schon, die ‚herrschende Klasse‘ ist dem Untergang geweiht. „Der Gedanke der Operette ist Rausch“ – meinte einst Karl Kraus. Mit „Rausch“ meinte er wohl nicht Saufgelage in einem verrauchten Schuppen – wie es uns die Regie im Schlussakt vorführt.

Und die Musik? Seltsam. Maestro Cambreling hat wohl vor den Vorgaben der Regie kapituliert und die so schwungvolle, hinreißende Offenbach Musik zum lahmen Soundtrack reduziert. Mit einem Wort: Langweile auf der Bühne. Langweile im Orchestergraben. In Stuttgart wird Offenbach unter Wert verkauft, um nicht zu sagen: verhökert.

Eine Bitte an die Intendanz. Lieber Herr Wieler, wenn Sie das nächste Mal eine klassische Operette auf den Spielplan setzen, dann versuchen Sie doch bitte, Ihren Berliner Kollegen Barrie Kosky für die Regie zu gewinnen. Oder machen Sie es doch gleich selber. Noch eine letzte Bitte: bewahren  Sie uns in der Oper vor den drögen Schauspieldirektoren und deren unheilbarem Brecht Schaden. Zumindest ein Teil des Publikums wird es Ihnen danken.

Wir sahen die Aufführung am 21. Dezember 2016. Die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 4. Dezember 2016.