Braucht man für Barrie Koskys Tristan eine Gebrauchsanweisung, eine Betriebsanleitung? Vielleicht doch. Inszenierung und Bühnenbild irritieren den Zuschauer: in einem schwarzen Vorhang findet sich auf halber Höhe ein nach hinten, oben und an den Seiten abgeschlossener kleiner Raum, möbliert im großbürgerlichen Stil des 19. Jahrhunderts. Vielleicht auch im Stil eines Luxusabteils im Orientexpress (Man erinnert sich: laut Libretto befinden sich die Akteure im ersten Aufzug auf einer Reise). Auch im zweiten und dritten Aufzug bleibt man in diesem Kasten. Im zweiten, da ist er unmöbliert und dreht sich noch dazu langsam um die eigene Achse. Kindergartensymbolik. Im dritten Aufzug, da ist der Kasten spärlich möbliert. Für den moribunden Tristan braucht man halt einen Sessel. Immerhin darf sich zum Sterben ein exaltierter Tristan aus der Puppenstube stürzen, auf dass ihm Isolde in der Pose einer Mischung aus Mater Dolorosa und Maria Magdalena die berühmte Schlussweise singe.
Doch zurück zum ersten Aufzug: Eine schwarz gekleidete Brangäne drückt sich in eine Ecke des Minisalons. Eine Isolde im Négligé hockt mit dem Rücken zum Publikum in einem Sessel und starrt Brangäne an. Und gleich mit ihren ersten Takten gebärdet sich Isolde in Gesang und Spiel wie eine Ausgeflippte oder, wenn man so will, wie eine – im Sinne Nietzsches – hysterische Wagnerheroine. Ein zurückhaltender, im Gegensatz zu seinen Kollegen, die die Reise im Orientexpress zu einem Saufgelage genutzt haben, stocknüchterner Tristan ist der Hysterikerin zu Willen. Wie es weitergeht, das wissen wir alle im Publikum. Ein Rausch von Eros und Thanatos
Von einer solch konventionellen Deutung will Theatermacher Kosky nichts wissen. „Eine endlose Suche nach einer endlosen Weise[…]. Ein Schrei einer Person, gefangen in einem klaustrophobischen Raum“. So deutet Kosky Tristan und Isolde – im Programmheft. Ja, warum soll man die Oper nicht auch mal als Exzess in Klaustrophobie interpretieren. Ein großes Kunstwerk lässt halt – um eine banale Weisheit zu zitieren – die unterschiedlichsten Deutungen zu. Ich für meinen Teil ziehe die von der Musik her nahe liegende konventionelle Deutung vor.
Das eine und das andere, mochten sich Orchester und Akteure auch noch so viel Mühe geben, hat ein nüchtern gestimmtes Essener Publikum kühl zu Kenntnis genommen. Eine Handvoll Wagnerianer fühlte sich immerhin bemüßigt, Unmut kund zu tun. Ein Unmut, der sich nicht gegen die Inszenierung, sondern gegen die Sängerin der Isolde richtete. Die berühmte Wagnersängerin, die man in Essen für die Rolle der Isolde engagiert hatte, mag in dem relativ kleinen Haus zwar manchmal zu laut und vielleicht auch schrill geklungen haben. Aber von Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung her ist sie für mich immer noch eine beeindruckende Isolde.
Ansonsten? Sagen wir es ganz simpel. Das ganze Spektakel hat mir nicht sonderlich gefallen. Von der berüchtigten Wagner-Droge gab es allenfalls Spurenelemente. Kein großer, eher ein enttäuschender Opernabend.
Wir sahen die Vorstellung am 23. November 2013. Die Premiere war am 9. Dezember 2006.