Glucks Alceste sei, so heißt es in der Süddeutschen Zeitung vom17.9. 2013, in Paris unter der Leitung von Marc Minkowski und Olivier Py „edler Biederkeit“ zum Opfer gefallen. Ein hartes Urteil, das weder der musikalischen noch der szenischen Interpretation genüge tut. Ich habe das nicht so gesehen. Wenn wie im Alkestis Mythos edle Gutmenschen sich für einander um die Wette aufopfern und dies zur feierlich-erhabenen Musik eines Gluck, dessen sogenannte Reformopern angeblich authentische Leidenschaften in Musik transformieren, dann stellt sich auf die Dauer edle Langeweile im Saale ein. Vielleicht ist Gluck auch nicht mein Fall, denn gegen das Gefühl der erhabenen Langeweile, die sich nach einiger Zeit einstellt, komme ich nur schwer an, mögen Maestro Minkowski und seine Musiciens du Louvre Grenoble auch auf höchstem Niveau musizieren und sich alle Mühe geben, das Feierlich-Erhabene der Gluck Musik herauszustellen. Und Chor und Solisten – allen voran eine höchst brillante Sophie Koch in der Titelrolle – stehen ihnen dabei nicht nach.
Die Inszenierung tut kaum etwas, um diesem Eindruck der erhabenen Langeweile entgegen zu wirken. Theatermacher Olivier Py, der sonst so gern auf das große Spektakel setzt, hat sich bei seiner Variante des Alkestis Mythos für ein starres kammerspielartiges Ambiente entschieden oder besser gesagt: für eine Aufführung im Stil eines Oratoriums. Solisten und Chor (allesamt in modernen schwarzen Kostümen) sind im Spiel äußerst zurückhaltend und singen durchweg von der Rampe herab. Handlung findet praktisch nicht statt. Bei diesem Ansatz ist es nur konsequent, dass nach der Pause das Orchester nicht mehr im Graben, sondern auf offener Bühne musiziert und den Sängern nur ein ganz schmales Aktionsfeld überlassen wird. Ein Spitalbett, in dem eine moribunde Alkestis ruht, ist das einzige – und letztlich überflüssige Requisit, das das Thema des Todes szenisch konkretisiert. Und wenn diese dank der Intervention des Herkules – in Kostüm und Maske ein Varieté-Zauberer – aus dem Totenreich zurückkehrt, dann verhüllt sie ihr Gesicht mit einem schwarzen Schleier. Kein lieto fine? Nur Tod und Vergänglichkeit? Wie es schon das Bühnenbild nahe legt? Schwarze Tafeln, auf denen schwarz gekleidete Statisten mit weißer Kreide die jeweilige Szene skizzieren und zur folgenden Szene wieder wegwischen. Ein offener Schluss.
Wir sahen die Aufführung am 4. Oktober 2013. Die Premiere im Palais Garnier war am 12. September 2013. Selbstverständlich spielt man in Paris die französische Fassung vom Jahre 1776.