Die Freiburger Oper, die mir im Laufe der letzten Jahre so manch herbe Enttäuschung bereitet hat, ist immer für eine Überraschung gut – und dieses Mal im positiven Sinne. Zum Wagner-Jahr gelingt ihr ein höchst respektabler, beeindruckender Parsifal. Und das gilt in gleicher Weise für Musik und Szene. In Freiburg stehen nicht die teuren Stars auf der Bühne, die immer gleichen Namen, auf die man in den großen Häusern trifft. Und trotzdem sind alle Rollen glänzend besetzt, wird unter der Leitung von Maestro Fabrice Bollon Wagner auf einem Niveau zelebriert, wie man es von einem mittelgroßen Haus nicht erwartet hätte. Zu Recht feierte nach einem langen Abend ein aufgeschlossenes Publikum alle Mitwirkenden.
Am so sehr gelungenen Parsifal hat auch die Regie ihren Anteil. Regisseur Frank Hilbrich will von einem „Bühnenweihfestspiel“ nebst obligatorischem Heilsbringer, Erlösungstheater, liturgischem Geländespiel und lieto fine nichts wissen. Die christlichen, buddhistischen, keltischen, präfreudianischen Mythenfragmente, Wagners Spielmaterialien, all dies ist ihm abgestandener Mythensalat, den er mit ‚ Mythen des Alltags‘ aufmischt.
Vor dem heruntergekommen Palast der Gralsritter, von dem nur noch die Fassade mit leeren Fensterhöhlen übrig geblieben ist, lümmeln sich Clochards beiderlei Geschlechts und unterschiedlicher Religionszugehörigkeit ( bei Wagner die Knappen). Die Gralsritter in ihrem Einheitslook aus blauem Pullover und grauer Hose wirken wie Insassen einer Anstalt, die auf Entzug gesetzt sind und nach Drogen hecheln. Und als sie im Finale des ersten Akts in einer Nachstellung der Abendmahl-Szene diese schließlich bekommen, geraten sie geradezu in eine Art Drogenrausch. Kundry, die im zweiten Akt erst einen Maria Lactans Auftritt hat, dann ganz im Sinne Wagners einen Femme fatale – Verschnitt liefern darf, wobei sie ihre Spielchen mit dem keuschen Jüngling auf dem Abendmahlstisch vom ersten Akt treiben darf, diese Kundry, die der Komponist im dritten Akt bekanntlich zur Pantomime verdammt hat, ist in Freiburg in ihrer stummen Rolle zum biederen Hausmütterchen mutiert, das den Helden von der schnellen Eingreiftruppe ( als solcher präsentiert sich Parsifal im dritten Akt) anhimmelt und vor Schreck dahinscheidet, als der Held beim siechen Amfortas aktiv Sterbehilfe leistet. Angesichts dieser Situation ziehen sich alle Anstaltsinsassen, die sich zuvor noch mit herumstehenden Besuchern – vornehmlich aus der Unterschicht – geprügelt hatten und dabei lauthals ihre Droge einforderten, zusammen mit diesen erschreckt zurück. Und der arme Parsifal hockt allein auf dem Abendmahlstisch, spielt mit der Monstranz oder dem Kelch, der wohl den Gral darstellen soll, und muss erkennen ( und wir im Publikum tun es mit ihm), dass all sein Mühen sinnlos war, dass die Welt nur scheinbar auf einen Erlöser gewartet hat und dass ein Erlöser im Kampfanzug, der noch dazu den siechen Vertreter der alten Macht, gewollt oder ungewollt, ins Jenseits befördert, nur Angst und Schrecken verbreitet.
Bei dieser Aufmischung, die die Regie Wagners Mythenarsenal zu Teil werden lässt (wir haben nur einige Beispiele genannt), wird dieses inhaltsleer und verliert seine Funktion, ja es wird geradezu verbrannt. Gleich zur Ouvertüre wird diese Konzeption überdeutlich signalisiert. Zwei Gemäldeausschnitte mit Schlüsselszenen aus der christlichen Mythologie – die Geburt und der Tod des Erlösers – Gemälde, die Fensterhöhlen im einstigen Palast der Gralsritter abdeckten, gehen in Flammen auf. Nicht „Erlösung dem Erlöser“ ist die frohe Botschaft in Freiburg. Erlösung unerwünscht heisst die unfrohe Botschaft. In Freiburg hat man das Parsifal Libretto gegen den Strich gelesen – mit großem Erfolg.
Wir sahen die Aufführung am 9. Mai 2013. Die Premiere war am 21. April 2013.