Der Frankfurter Ring wird bekanntlich in den Feuilletons sehr gelobt – und dies, so scheint es mir, auch zu Recht. Wir hatten im November vergangenen Jahres Siegfried gesehen: eine, abgesehen von den ziemlich eindeutigen parodistischen Verweisen auf Freud Klischees, recht vieldeutige Inszenierung, und wir waren von der spektakulären Aufführung mehr als angetan, um nicht zu sagen begeistert. Und das gleiche gilt auch für die Götterdämmerung. Das beginnt schon mit dem scheinbar so einfachen und doch vieldeutigen Einheitsbühnenbild. Wie im Siegfried ist Ort der Handlung eine runde Scheibe mit einer Öffnung in der Mitte, die sich je nach dramatischer Situation auftut oder verschließt, eine Scheibe, die sich um ihre Achse drehen und sich senkrecht aufrichten und wie eine Achterbahn funktionieren kann. Wie schon im Siegfried spielt das „Frankfurter Opern- und Museumsorchester“ unter der Leitung von Maestro Weigle einen – zumindest erschien es mir so – faszinierenden, manchmal sogar rauschhaften Wagner. Wieder sind mit Lance Ryan als Siegfried, Johannes Martin Kränzle als Gunther und Gregory Frank als Hagen die Hauptrollen herausragend besetzt, und wieder berührt es seltsam, dass wie schon im Siegfried die Sängerin der Brünnhilde mit dem geradezu idealtypischen Siegfried und auch mit den beiden Gibichungen nicht so recht mithalten kann oder soll. Vielleicht eine von der Regie und vielleicht auch vom Maestro gewollte Herabstufung der Rolle? Soll vielleicht durch eine geringere Gewichtung der weiblichen Hauptrolle überdeutlich werden, dass die einstige ‚Unsterbliche‘ bei den Intrigen der Tölpel, Kraftmeier, Gangster, Machos und Feiglinge, bei dem Kampf um Geld und Macht, letztlich nur eine Nebenrolle spielt, nur Werkzeug ist oder allenfalls – für Siegfried und jetzt auch für Gunther – nur eine Mutterfigur ist, Objekt für deren ödipale Neigungen? Vielleicht. Ich weiß nicht. Wie schon beim Siegfried, so scheint es mir, hat auch in der Götterdämmerung die Regie auf eine einheitliche Grundkonzeption verzichtet und stattdessen auf spektakuläre Bilder gesetzt oder einfacher ausgedrückt: die Frankfurter Götterdämmerung ist eine Erzählung in großen Bildern. Da fesseln die Nornen in der ersten Szene die Rheintöchter – Partygirls in silbriger Abendrobe – und die steinalt gewordenen Rheingold Götter in ihre roten Seile, da zerschneidet Alberich (im Goldfinger Kostüm) die Seile, da fährt Siegfried als Comicfigur oder vielleicht auch als Siegfried aus dem Fritz Lang Film im Schlauchbot auf der Achterbahn, da mimen die Rheintöchter jetzt als Ökogirls gewandet, Umweltprotestler, da betrinken sich Gunther und Hagen (vom Outfit her frustrierte mittlere Parteifunktionäre) in der Kellerbar, träumen von Sex und Macht und hecken ihre Intrige gegen Siegfried aus, ein Komplott, so wird sich zeigen, das einige Nummern zu groß für sie ist, zwei Funktionäre, die sich nach getaner Tat um die Macht (sprich: den Ring ) wie zwei Schulbuben balgen und sich bei der posthumen Drohung des Mächtigen erschreckt aus dem Staube machen. Da tritt Gutrune als gelangweilte Joggerin auf und mutiert zum Marylin Verschnitt, um den unbedarften Naturburschen für sich zu gewinnen, da spielen die Mannen schunkelnde Oktoberfestgäste, und der ob des Gebarens der “wilden Felsenfrau“ schockierte Gunther hält sich an Hagens Speer fest (und signalisiert implizit seine Impotenz). So reiht sich Komödienszene an Komödienszene, und erst im dritten Akt – mit Siegfrieds Ermordung – besinnt sich die Regie auf das tragische Potential der Götterdämmerung: Siegfried stirbt in Gunthers Armen (eine schöne Gelegenheit für die Regie, eine ferne Referenz an die Pietà nachzustellen), die Mannen sammeln sich – mit Friedhofslichtern statt mit den üblichen Fackeln – um die Vertiefung auf der Scheibe, in der Siegfrieds Leichnam versinkt, und dann – frei nach dem berühmten Motto: von der Tragödie zur Komödie ist es nur ein Schritt – springen wir in der Schlussszene wieder in die Komödie: aus der Seitenloge blicken die zu Mumien erstarrten Götter, Alberich, der für Hagen das Schlusswort hat („Zurück vom Ring“) übernommen hat, winkt ihnen vom Zuschauerraum komplizenhaft zu, auf der Bühne versammeln sich alle Akteure des Rings – und das ewige Spiel um Macht und Geld und Sex kann von neuem beginnen. Aus dem Ring gibt es in ewiger Endlosschleife kein Entrinnen. Vielleicht ist dies die Grundkonzeption der Regie?
Vera Nemirova hat Wagners Götterdämmerung vom ideologischen Ballast der ‚großen Erzählung‘ befreit und das Stück wieder zu dem gemacht, was es auch sein kann: spektakuläres Theater voller Witz, Komik und Groteske, eine Komödie mit tragischen Einsprengseln, eine zeitlose Komödie, die sich endlos wiederholen kann. Der Frankfurter Ring – wir sahen bisher leider nur Siegfried und Götterdämmerung – ist allemal eine Reise wert. Die Premiere der Götterdämmerung war am 29. Januar 2012. Wir sahen die Vorstellung am 26. Februar 2012.