Man kann die Salome so ziemlich überall spielen lassen: in einem schwülen Orient-Ambiente, in der Wohnküche, im Atelier eines Schneiders, im Panoptikum der Dekadenz, in den wilden Zwanzigern in einem Nachtklub in Berlin, unter Kinderschändern, als Totentanz, in einem Palästinenser Camp, in einem Salon mit Fahrstuhl zum Schafott, in der Todeszelle, auf dem Mond usw.
Alles, (fast) alles ist möglich. Nur eines ist mit Sicherheit nicht möglich. Man darf die Rolle der Salome nicht mit einer Sängerin besetzen, die, um es vorsichtig zu sagen, als Sängerin und Darstellerin nicht in Hochform ist. Dann ist das Stück erledigt, dann reicht es noch nicht einmal zur Parodie, mag das Orchester wie jetzt in Wiesbaden auch einen noch so schönen, glitzernden, temperamentvollen Strauss spielen. In einem solchen Fall hilft kein Apoll, kein Dionysos, kein unbekannter Operngott weiter. In einem solchen Fall landet man unweigerlich im Desaster. Da wird die Salome zum Flop, zu einem peinlichen Flop, wie wir ihn jetzt im Opernhaus in Wiesbaden erlebt haben. So mancher Wohlmeinender hoffte an diesem Abend nur noch darauf, dass vielleicht ausnahmsweise Herodes seinen klassischen Satz: „Man töte dieses Weib“ nicht erst nach 90 Minuten vortrüge.
Ich habe nichts gegen die Wiesbadener Oper. Wir haben in diesem Musiktheater in den letzten Jahren exzellente Aufführungen gesehen: Alcina, Così fan tutte, Arabella, um nur drei Beispiele zu nennen. Doch mit Verlaub gesagt: die Wiesbadner Salome entspricht nicht dem Niveau des Hauses. Hier singt und agiert in der Rolle der Salome nicht nur eine gänzlich überforderte Sängerin. Hier werkeln im Nicht-Musik-Bereich auch zwei Stückezertrümmerer, denen die Oper Wiesbaden eine Spielwiese zur Verfügung gestellt hat. Für die beiden Herren ist Ort des Geschehens ein geschlossener Saal auf dem Mond mit Blick auf den Planeten Erde. Der Saal ist über einen Fahrstuhl mit der Todeszelle des Jochanaan verbunden, aus der das Fernsehen live sendet. Der Maulheld von Prophet wird nicht einen Kopf kürzer gemacht. Die Soldaten schütten ihm eine kochende silbrige Flüssigkeit auf den Kopf und schaffen die Leiche als Ganzkörper zur Prinzessin Salome. Über die Fernsehkamera sind wir Zuschauer als Voyeurs mit dabei. Nicht genug damit. Der berühmt-berüchtigte Tanz der Salome findet nur in der Musik statt. Salome drückt Herodes ein Tablett in die Hand. Auf dem Tablett darf dieser und mit ihm das Publikum Auszüge aus einer Schwarz-Weiß Verfilmung der Salome sehen, in dem eine Person mit etwas lasziven Bewegungen die Treppe im großen Foyer eines Opernhauses herab schreitet und alte Herren und alte Damen diese verzückt anstarren. Die Filmeinlage ist wohl der einzige gelungene Moment der Inszenierung, die wir in Wiesbaden über uns ergehen ließen. Man muss ja nicht gleich Salzburger oder Berliner Maßstäbe anlegen. Doch auch in einem Haus mittlerer Größe kann man erwarten, dass die Hauptrolle angemessen besetzt und das Stück nicht szenisch verhunzt wird. „Die schöne Musik […] Da muß ma weinen“ – „Allein was tut’s“.
Wir besuchten die Aufführung am 24. Februar 2019. Die Premiere war am 16. Februar 2019