Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: im Frankfurter Rinaldo wird in allen Rollen so phantastisch schön gesungen, wird unter der Leitung von Simone Di Felice so brillant musiziert, dass es eine Lust ist zu zuhören. Der „neue Stern am Himmel der Countertenöre“, Jakub Józef Orlínski, ist von Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung her ein Rinaldo, wie man ihn sich besser kaum vorstellen kann. Vielleicht, so denkt man, haben die Stimmen der Starsänger des 18. Jahrhunderts, die ihr damaliges Publikum verzückten, so geklungen. Vielleicht hatten sie auf die Zuhörerinnen und Zuhörer jener Zeit eine ähnliche Wirkung wie heute die (sollen wir sagen ‚glockenreine und ‚verführerische‘) Stimme, mit der Orlínski sein Publikum ‚verzaubert‘. Kein Huster wagte zu stören. Selbst die schwatzhafte Dame in der Reihe hinter uns wagte keinen Muckser Erst in der Pause schwärmte sie vom „Schmelz der Stimme“. Von der ach so melancholischen Arie „Cara sposa, amante cara“ sind selbst die Unbedarftesten hingerissen.
Und das Gleiche gilt natürlich für Almirenas Hit „Lascia ch’io pianga“, die Karen Vuong anrührend vortrug. Und natürlich wissen auch die Armida der Elizabeth Reiter, der Argante des Gordon Bintner und last not least die Mezzosopranistin Julia Dawson als Goffredo zu brillieren. Mit einem Wort: der Frankfurter Rinaldo ist ein Fest der Händel-Sänger.
Außerordentlich und beeindruckend ist der Musik-Part. Außerordentlich, um nicht zu sagen extravagant und faszinierend, ist die Szene. Wer im Rinaldo ganz traditionell ein großes Spektakel der Bühnenmaschinerie mit Donner und Blitz, Feuer speienden Drachen und Zaubergarten erwartet hatte, der war wohl enttäuscht. Nichts von alle dem bietet die leere, leicht ansteigende Spielfläche. Requisiten hätten die Tänzerinnen und Tänzer, die in rituellen Bewegungen je nach dramatischer Notwendigkeit als Soldaten, Furien oder Sirenen auftreten, nur den Raum streitig gemacht. Rinaldo selber ist als Kämpfender zugleich ein Tänzer, der den Zweikampf ritualisiert. (Im Programmheft liest man Orlínski sei gleichsam im Nebenberuf ein gefeierter „Breakdancer“).
So wird über weite Strecken im Frankfurter Rinaldo aus einer opera seria modernes Tanztheater mit dem Soundtrack von Händel. Eine „comédie ballet“, der Theatermacher Ted Huffman jegliche mögliche politische oder religiöse Implikation ausgetrieben und das Interesse des Publikums ganz auf die doppelte Liebesgeschichte gelenkt hat. Auf das Paar Armida – Rinaldo und auf das sekundäre Almirena – Rinaldo. Und ganz wie es der Tradition des Armida – Mythos entspricht, kann sich der Kämpfer Rinaldo nicht dem Zauber der Armida entziehen. Zwar tötet er im Schlusskampf die ‚femme fatale‘. Doch über deren Tod hinaus wird er ihr anhängen, mag er auch pflichtgemäß mit der braven Almirena davon ziehen. Von Circe, Alcina, Armida kann sich der ‚Held‘ nie befreien. Ein schlüssige Variante, die die Regie dem konventionellen lieto fine vorzieht, das nach verlorenem Kampf die Heiden zum Christentum konvertieren lässt.
Ein großer Abend im Bockenheimer Depot, der Zweitspielfläche der Frankfurter Oper. Wie schade, dass sämtliche Vorstellungen bereits ausverkauft sind. Ich wäre gerne noch einmal hingegangen.
Wir besuchten die Aufführung am 14. Januar 2019. Die Premiere war am 16. September 2016.