Was ist das für ein krudes, disparates Zeug, das da mit großer Kunstfertigkeit, solidem Bildungsbürgerwissen und mit nicht geringen Anforderungen an Vorkenntnisse und Imagination der Zuschauer in der Staatsoper präsentiert wird. Was ist das für eine schrecklich simple Musik, die zwischen Lärm und einem Soundtrack für Weltraumexpeditionen changiert, eine Musik, die den Kritiker der FAZ zu lyrischen Ergüssen animierte und die doch nur fad und langweilig ist und auch dem aufgeschlossenen Zuhörer auf die Dauer auf die Nerven geht. „Aufstiebender Graupel von Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten und Saxophon gerbt uns das Ohr“ (Jan Brachmann in der FAZ am 15. Januar 2019). Schön ist die Musik. Noch schöner ist es, wenn sie aufhört. So ungefähr heißt es mit milder Ironie in Die schweigsame Frau. Von milder Ironie kann beim violetten Schnee nicht die Rede sein. Hier regiert in Szene und Musik eher der Bierernst.
Doch lassen wir den Soundtrack. Die Musikhistoriker werden ihn zu beschreiben und einzuordnen wissen. Sprechen wir lieber vom Stück und seiner szenischen Umsetzung. Was wird eigentlich erzählt? Eine Schreckensvision, die im Kunsthistorischen Museum von Bruegels Gemälde Die Jäger im Schnee ausgelöst wird. Eine ausführliche Beschreibung des Bildes, die zu Beginn des Stücks eine weiß gekleidete Frau vorträgt. Eine Wiedergängerin aus dem Totenreich? Eine Irre, die Identifikationsmöglichkeiten sucht? Eine Horrorgeschichte, in der Bruegels Gestalten lebendig werden, aus dem Bild heraustreten und immer wieder stumm durch die Szene geistern. Eine Psychohölle, die sich fünf Personen bereiten, die von einem Schneesturm in einem einsamen Haus eingeschlossen wurden und die immer mehr in Traum und Wahn abgleiten. Die Wiederkehr einer Selbstmörderin. Ein Weltuntergang, der wohl von einem Ausbruch auf dem Planeten Mars, dem roten Planeten, ausgelöst wurde. Jetzt verstehen wir auch den etwas befremdenden Titel des Stücks. „Violetter Schnee“ ist keine barocke Metapher, sondern ganz konkret zu verstehen: der rote Planet färbt bei seinem Ausbruch den Schnee.
„Zu viel! Zu viel!“. Ein hybrides Libretto, das °basierend auf einer Vorlage von Vladimir Sorokin“ Händle Klaus fabriziert hat. Motive, Themen und Geschichten, die sich überlagern und ineinander übergehen und die Claus Guth mit leichter Hand (manchmal auch etwas krampfhaft) zu durchaus gelungenen Szenen zusammenfügt. Man denke zum Beispiel an die finalen Szenen: Tote, Untote, vielleicht noch Lebende, alle nur noch als schemenhafte Gestalten erkennbar, verharren im Schneegestöber. Ein roter Sonnenball – vielleicht der Planet Mars? – nähert sich immer bedrohlicher. Das Ende der Welt. (Damit es auch jeder im Zuschauerraum merkt, dass das Ende nahe ist, zitieren die Übertitel die Apokalypse).
Und doch, mag auch die eine oder die andere Szene faszinieren, bleibt ein eher trister Gesamteindruck: was uns da in Szene und Musik vorgeführt wird, das ist Schnee von gestern, „Ce sont les neiges d’antan“.
Wir besuchten die Aufführung am 16. Januar, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 13. Januar 2019.