Arbeiterführer Lohengrin schafft keinen Aufbruch in der DDR. Lohengrin an der Staatsoper Stuttgart

Lohengrin als schwerreicher Investmentbanker, Lohengrin unter Faschisten, Lohengrin als Zimmermann, der das Häusle für die schwäbische Maid baut, Lohengrin als Schwächling und Störenfried, den die preußischen Militärs im Finale erschlagen, Lohengrin als Friedensengel und  Demagoge, Elsa und Lohengrin auf dem Dorfe in Trachtenkostümen. All diese Varianten des Mythos und  noch so manche andere haben kundige Theatermacher im letzten Jahrzehnt einem geduldigen Publikum  vorgesetzt.

Jetzt in Stuttgart ist eine weitere, eine weitere banalisierende Variante zu besichtigen. Regisseur Árpád Schilling verlegt das Geschehen in die DDR, in die letzten Tage eines absterbenden Regimes (vielleicht meint er auch die letzten Tage der SPD). Die Obergenossin, die Vorarbeiterin des Frauenkollektivs (bei Wagner eine gewisse Elsa), hat  mit dem mächtigen Parteisekretär (bei Wagner ein gewisser Telramund) Streit bekommen, und dieser sucht der jungen Frau eine schwere Straftat anzuhängen. Der zögerliche Parteivorsitzende (bei Wagner ein Heinrich der Vogler), der die Genossen für eine neue Kampagne gewinnen will, ist der jungen Frau keine Hilfe. Zu Hilfe kommt ihr ein unbekannter Arbeiterführer – vielleicht ein Mächtiger aus einem ‚Brudervolk’  -Er erledigt den großspurigen Parteisekretär mit einem kräftigen Kinnhaken und wird sofort zum Hoffnungsträger der Partei, obwohl er seinen Namen nicht nennen will.

Der Parteisekretär und vor allem dessen Frau geben sich nicht so leicht geschlagen. Mit einer Intrige – das erfahren wir im nächsten Akt – wollen sie den Hoffnungsträger und die junge Genossin, die sich diesen gleich gekrallt  hat, erledigen. Die Gattin des Parteisekretärs ist eine zwielichtige Person.  Als einzige ist sie inmitten der im Schlabberlook oder im Blaumann auftretenden Genossen elegant gekleidet: eine Bürgerliche, die von der Restauration des alten Regimes träumt.

Eine auf den ersten Blick recht hübsch ausgedachte Regiekonzeption, die den Hang zur Parodie in sich trägt, wenn sie sich nur nicht so zwangshaft aktualisierend gäbe, nicht so schrecklich banalisierend und so unausgegoren wirkte und sich letztlich nicht gegen Musik und Libretto wenden würde. Selbstverständlich bleibt es jedem Theatermacher unbenommen, eine neue Geschichte zu erzählen, um den ‚Kern‘ des Mythos herum neue Varianten zu erfinden. Hier im konkreten Fall des Lohengrin hat die Regie einer „romantischen Oper“ alles Romantische, alles Religiöse und Pseudoreligiöse, jeglichen Anflug an Tragik ausgetrieben und dafür das ‚Politische‘ betont. Mit einem Wort: aus Wagners „romantischer Oper“ hat die Regie die Politparabel vom gescheiterten Hoffnungsträger gemacht, der die ihm vom Volk, von der Arbeiterklasse(?), von der Partei (?) aufgedrängte Rolle des Heilsbringers nicht erfüllen kann, nicht erfüllen mag. Letztlich ist er nur ein Märchenerzähler, der in seiner abschließenden Parteitagsrede (bei Wagner die Gralserzählung) noch einmal einen großen Auftritt hat und sich dann (nein, nicht sang-und klanglos) davon stiehlt. Hinzu kommt noch ein persönliches Motiv. Diese hysterische Kleinmädchen Elsa ist ihm einfach nur lästig. So lässt er ihr denn beim Sich-Davon-Stehlen  auch nicht ein „Horn“, nicht ein „Schwert“, nicht einen „Ring“ zurück, sondern ein Messer. Sie versteht die Botschaft.

Die Macht übernimmt die Bürgerliche, die elegante Ortrud. Mit dem Abgang des  Heilsbringers ist auch das alte  Regime, die Partei erledigt. Das „fürchterliche Weib“ mit ihrer so mächtigen, so klaren und so melodischen Stimme bietet auch als Sängerin (Okka von der Damerau) dem so sanften und melancholischen Lohengrin (in der Person des Michael König) Widerpart. Ein Paar, das die so seltsam verhuschte und zurückhaltende Elsa (in der Person der Simone Schneider) auch stimmlich überragt. Doch Sängerkritik – und das gleiche gilt für Orchesterkritik steht mir nicht an. „Steh ab von ihr!“. Vielleicht nur zwei Sätze: vom Zauber und vom Rausch, die  Wagners Musik angeblich (frei nach Nietzsche) auf die Zuhörer überträgt, habe ich, wenn es sie denn gab, kaum etwas mitbekommen. Die banalisierende Inszenierung hat wohl auch den Musikpart herabgezogen.

Wir besuchten die Aufführung am 5. November 2018, die siebte und letzte Vorstellung in dieser Spielzeit. Die Premiere war am 29. September 2018.