Der schwarze Satan aus der Fruchtblase bringt Verstörung und Tod. Romeo Castellucci inszeniert Salome bei den Salzburger Festspielen 2018, und Asmik Grigorian triumphiert in der Titelrolle

 

Wenn Theatermacher Castellucci – oder sollen wir lieber sagen, wenn Theatermagier Castellucci seine Theaterkiste aufmacht, dann ereignet sich großes, spektakuläres Theater, dann tun sich neue Sichtweisen auf, dann werden die alten Geschichten neu erzählt, anders erzählt – bis hin zu ihrer Zerstörung, dann wird das Publikum verwirrt und provoziert.

So war es schon bei Castelluccis Brüsseler Parsifal, den wir vor nunmehr sieben Jahren am Théâtre de la Monnaie sahen, einem Parsifal, in dem die Regie jeglichen Erlösungsbrimborium brutal hinweg gefegt hatte. So war es noch provozierender bei Glucks  Orpheus und Eurydike bei den Wiener Festwochen 2014, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit geradezu schamlos eingerissen wurden, wo eine reale Komapatientin zum Objekt der Voyeurs wurde und der Abstieg in die Unterwelt zum Abstieg in die Hölle der Intensivstation wurde, ein Inferno, aus dem kein lieto fine ins Leben zurück  führt.

Auf Provokation und Verstörung hat es Castellucci  auch bei seiner Salzburger Salome angelegt – und dies mit großem Erfolg. Die Szene ist ein geschlossener, ein geradezu klaustrophobischer Raum. Die zugemauerten Galerien der Felsenreitschule sind zu einer Art Klagemauer mutiert, vor der grotesk geschminkte Personen mit roten Gesichtern, in langen schwarzen Mänteln und mit großen schwarzen Hüten in rituellen Bewegungen auftreten. Sind sie alle Talmud Schüler oder vielleicht doch nur Marionetten, die an unsichtbaren Fäden geführt werden. Ein schwarz geschminkter Jochanaan, der selbst von den ersten Parkettreihen her kaum als Person zu erkennen ist, tritt in einer gigantischen Fruchtblase auf. Ist das der Satan selber, der sich als Prophet ausgibt? Oder ist er die Karikatur eines Voodoo Priester, ein Schamane, ein sich lautstark in Szene setzender Krimineller aus der Bronx?

Warum übt er eine so starke sexuelle Anziehungskraft  auf die ganz in Weiß gekleidete Salome aus? Warum schleicht diese auf allen Vieren herum und zieht sich das Zaumzeug eines Pferdes über? Die Antwort gibt die Regie mit einem eindeutigen Bildsymbol. Als der  fluchende und geifernde Jochanaan entschwunden ist, taucht  aus der Versenkung ein Pferd auf. Das Pferd, das ahnen auch die Zuschauer, denen ein Symbollexikon fremd ist, ist das Symbol der Gewalt und der Wollust. Ganz einfach: das Pferd, vulgo: der Hengst ist ein klassisches Sexsymbol. Nur konsequent in diesem Sinne ist es dann, wenn Salome im Finale statt des Kopfs des Jochanaan ein abgeschlagener Pferdekopf präsentiert wird. Der nackte marmorne Torso eines Athleten, den sie als Zugabe erhält, verstärkt die Luxuria Symbolik nur noch mehr. Und wenn im Finale, statt von den Soldaten erschlagen zu werden, wie es das Libretto will, Salome  sich ertränkt, dann zitiert die Regie nur ein weiteres Symbol aus dem Thesaurus der Luxuria („das Wasser, dieses ewige Element luftiger Verschmelzung“). Oder – und das wäre die drastische Version-  ist Salome vielleicht in die Pferdejauche hinab gestiegen – zur Vermählung mit den Ejakulationen des Hengsts?

Castellucci inszeniert nicht wie kürzlich Neuenfels mit seiner Salome an der Staatsoper unter den Linden  ein durch Varieté Einlagen aufgelockertes Panoptikum der Dekadenz. Sein Panoptikum wird von Sex und Grausamkeit determiniert, ein Panoptikum, in dem triebgesteuerte Fanatiker agieren. Da ist es einerlei, ob es wie bei Herodes der geile Blick des Voyeur ist oder wie bei den Juden und  Nazarenern der religiöse Wahn oder wie beim Propheten die Mischung aus unterdrückter Begierde und Sendungsbewusstsein oder wie bei Narraboth das Ineinander-Übergehen von Liebes- und Todestrieb. Dass alle Personen, die auf der Szene agieren, Gestörte, in ihren Wahn Eingeschlossene sind, das hat man schon viele Male gesagt. Castellucci führt bei den Figuren des Propheten und der Salome diese Deutung auf die Spitze. Jochanaan bleibt t in seine Fruchtblase eingeschlossen, und Salome wird in ihrem Wahn zu Stein. Einen Tanz gibt es nur in der Musik. Salome hockt in Embryostellung regungslos auf einem Stein (einem Grabstein?). Ein Stein wird sich auf sie herabsenken und sie vollends einschließen und sie – eine seltsame Inkonsequenz der Regie – zur nächsten Szene wieder frei geben.

Keine Frage, dass Castelluccis Salzburger Salome, bei der unser Theatermagier in Personalunion „Regie, Bühne, Kostüme und Licht“ verantwortet, ein Highlight des Musiktheaters ist. Kein Frage, dass grandios gesungen und gespielt wurde, allen voran Asmik Grigorian in der Titelrolle, die von Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung geradezu die Idealbesetzung der Salome ist. Eine Salome Darstellerin, die die Feuilletonisten zu Kitschorgien hingerissen hat. „Eine silbrige Stimme, brennend wie Eis“ glaubte zum Beispiel der Kritiker der FAZ  zu hören. Ich sage einfach nur, diese Salome hat betörend schön gesungen. Keine Frage auch, dass die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Maestro Welser-Möst an diesem Abend in Hochform waren und einen Strauss der Spitzenklasse zelebrierten. Mit einem Wort: Mit der Salome bieten die Salzburger Festspiele  in diesem Jahr Opernkulinarik vom Allerfeinsten. Man kann sich nur wünschen, dass die Salome in dieser Besetzung im nächsten Jahr wiederaufgenommen wird.

Wir besuchten die Vorstellung am 1. August, die zweite Aufführung nach der Premiere am 28. Juli 2018.