Das alte Rezept, das so abgegriffene Muster, das sich immer wieder bei Donizetti Inszenierungen erkennen lässt, das nutzt auch so manche Verdi-Inszenierung. Man nehme drei, wenn eben möglich vier exzellente Sänger: eine Sopranistin, einen Tenor, einen Bariton, ggf. noch einen Bass oder auch eine weitere Sopranistin. Ein Theaterchor steht sowieso zur Verfügung. Jetzt kann gar nichts mehr schief gehen. Die Inszenierung ist Nebensache. Die Leute – ich meine die Melomanen und die Stimmfetichisten. – kommen wegen der Sänger. Die Abonnenten wollen nicht von anspruchsvollen Inszenierungen überfordert werden und die Zufallsbesucher erst recht nicht.
Nach diesem Rezept ist man wohl auch beim Maskenball an der Opéra National verfahren und hat ganz entsprechend die Inszenierung einem altbewährten, routinierten Theatermann anvertraut, für die Hauptfiguren hochkarätige Sänger engagiert und eben eine Operngala präsentiert – zur großen Freude der Melomanen, der Queers, der Abonnenten und nicht zuletzt auch der nach ‚Events‘ hungernden Touristen.
Die Sängerinnen und Sänger, die da auf der großen Bühne der Bastille Oper herum standen, waren in der Tat höchst brillant, boten Verdi-Belcanto vom Allerfeinsten. Die unglücklich verliebte Amelia in der Person der Sondra Radvanovsky wurde schon gefeiert, bevor sie auch nur die erste Note singen konnte. Mit ihrer so schönen, so großen und manchmal auch anrührenden Stimme war sie zurecht der Star unter den Stars. Im berühmten Liebesduett im zweiten Akt mit dem nicht minder unglücklichen Riccardo in der Person des nicht minder brillanten Piero Pretti riss sie – zusammen mit dem Tenor – das Publikum geradezu zu Beifallsstürmen hin.
Natürlich begeisterte auch die Sopranistin Nina Minasyan in der Nebenrolle des Pagen Oscar. Und das Gleiche gilt last not least für den Bariton Simone Piazzola in der Rolle des eifersüchtigen Ehemanns und Attentäters, der den Freund und doch nur platonischen Liebhaber seiner Gattin erdolcht.
So haben wir denn wieder einmal eine novellistische Dreiecksgeschichte auf der Bühne gesehen, gesungene Leidenschaften gehört, wie sie durchweg stramm von der Rampe in den Saal transportiert wurden. Wir haben Sänger gesehen, die nicht im Geringsten als Darsteller gefragt oder gar gefordert wurden, eine italienische Oper in einer Inszenierung gesehen, wie sie auch schon unsere Urgroßväter im 19. Jahrhundert hätten sehen können.
„Allein was tut’s“. Die Musik ist eingängig. Die Sänger sind herausragend, ein bisschen Ballett und elegante Roben sind im dritten Akt zu bestaunen. Und im Bühnenbild mag der in der Malerei des 19. Jahrhunderts Beflissene bei den schauerromantischen Szenen Referenzen auf Delacroix entdecken. Da lodern in der weitläufigen Höhle der Wahrsagerin die Feuerchen. Da sind die Damen des Chors orientalisch kostümiert – ganz wie es der Orientmode des 19. Jahrhunderts entspricht. Und einen Beelzebub gibt es auch. Da treffen Amelia und Riccardo zur Nachtzeit unter einem Galgen zusammen, von dem schon die Geier dräuen. Zur Schauerromantik gehört halt auch Düsternis im Wortverstand – und so sehen denn die auf den billigen Plätzen wenig oder auch gar nichts.
In der Opéra National darf man nicht ‚ Regietheater‘ erwarten. Hier dominiert nicht das moderne Musiktheater. Hier liebt man immer noch die Grand-Opéra, feiert die Stars der internationalen Opernszene – und stellt sie in Opas Dekorationstheater.
Doch nicht immer macht man es sich an der Opéra National so einfach. Nicht immer begnügt man sich mit dem Konventionellen. Am Tage darauf war im Palais Garnier, der altehrwürdigen Spielstätte aus dem 19. Jahrhundert, das Kontrastprogramm zu erleben. Händels Oratorium Jephtha transformiert zum grandiosen Musiktheater – in einer Übernahme aus Amsterdam. Wir hatten die Inszenierung vor gut einem Jahr dort schon gesehen ( siehe Blog Stichwort Amsterdam). Jetzt in Paris mit einer anderen Besetzung und mit Ian Bostridge in der Titelrolle hat Claus Guth die Grundkonzeption seiner Inszenierung noch stärker herausgearbeitet: den Fundamentalismus, die Pervertierung der Religion, die Heuchelei und vor allem den Sadismus, mit dem Anführer, Priester und Volk eine junge Frau, das Opfer eines fatalen Gelübdes, in den Wahnsinn treiben. Dem Oratorium wird in dieser Transformation alles Fromme, alles Sakrale ausgetrieben . Was bleibt, das sind Sadismus und Barbarei und ein melancholischer Soundtrack.
Wir sahen die Vorstellung von Il Ballo in Maschera am 19. Januar 2018, die 20. Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war im Jahre 2007.
Jephtha sahen wir am 20. Januar 2018.