„In der digitalen Welt“ oder allerlei Liebesdiskurse und permanentes Gender Switching. Nicola Antonio Porpora, Arianna in Nasso an der Kammeroper des Theaters an der Wien

Für mich eine absolute Rarität: „frühklassische“ Klänge in den Recitativi accompagnati, alle Typen von Arien( Lamenti, Bravourarien …), exzellente junge Sängerinnen und Sänger, ein Counter: Ray Chenez als Teseo, Anna Gillingham als Arianna, Carolina Lippo in der Rolle der Antiope, ihrer Rivalin, Anna Marshania als Onaro :Bacchus, Priesterin und Herrscherin der Insel.

Und eine höchst ehrgeizige Inszenierung, die das Verloren-Sein in einer digitalen Welt und zugleich die Möglichkeiten eines unendlichen Wechsels der Identitäten und des Gender aufzeigen will. Eine neue Variante des Ariadne Mythos.

Ich muß gestehen, dass ich den hypermodernen Touch der Inszenierung, die Verlegung des Geschehens in eine „digitale Welt“, in der ähnlich wie in der Welt des Traums alles möglich ist, erst nach der Studium der Gebrauchsanweisung (vulgo: des  Programmhefts) verstanden habe. Wer sich diese Lektüre ersparte, der konnte leicht zu der etwas konsternierten Deutung kommen, die eine Dame in der Reihe hinter mir lauthals verkündete: „Die sind doch alle bi“.

Und dabei hatte sie gar nicht so Unrecht. Nur sind sie nicht nur das. Sie wechseln ständig ihre sexuelle Bestimmung bzw. sie besitzen gar keine – mit Ausnahme der Ariadne. Sie ist und bleibt  – ganz wie es der klassischen Variante des Mythos entspricht – die Liebende, die Getäuschte, die Enttäuschte, die Verlassene, die Todessüchtige. – und sie singt ganz in diesem Sinne auch die schönsten Lamenti. Theseus, der nie weiß, was er will und was er ist, überlässt sie die Bravourarien und darin brilliert er höchst effektvoll.

Theseus, Antiope, angeblich seine Ehefrau, Piritoo, ein junger Mann, Onaro, angeblich die Priesterin des „Gottes der Freiheit“, ein klassisches Attribut des Dionysos, sie alle sind gemäß der Grundkonzeption der Regie   nur virtuelle Gestalten, die zur Verwirrung des Publikums immer wieder zwischen unterschiedlichen sexuellen Bestimmungen und damit zwischen unterschiedlichen Partnern hin und her schwanken. Ist Theseus nun männlich oder weiblich oder androgyn oder vielleicht gar geschlechtslos ? Ist Antiope ein Mann oder eine Frau und als solche eine Nymphomanin ?

Was uns die Regie dort auf der kleinen Bühne der Kammeoper bietet, ist zweifellos ein schönes Spiel, ein Verwirrspiel, das keine Auflösung will und das, läßt man sich als Zuschauer einmal darauf ein, höchst amüsant ist und gar nicht der großen Worte von der „digitalen Welt“ als Überbau bedarf.

Ganz abgesehen davon: Porporas Musik ist so eingängig, es wird in allen Rollen so brillant gesungen und gespielt, dass die Regie , so ehrgeizig und anspruchsvoll sie von ihrer Konzeption auch ist, letztlich zur quantité négligeable wird. Man geht nach Haus, wünscht sich mehr Opern von Porpora auf der Bühne und freut sich darauf, das brillante Ensemble der Kammeroper in dieser Saison noch in Pélleas et Mélisande und in Così fan tutte hören und sehen zu dürfen.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Oktober 2017, die Dernière. Die Premiere war am 27. September 2017.